Interview

"Die HPV-Impfung ist eine wichtige Ergänzung zur jährlichen Krebsvorsorge"

Vor zwei Jahren war es soweit: Der erste Impfstoff gegen Zervixkrebs kam in Deutschland auf den Markt. "Die Impfung ist eine wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz für die jährliche Krebsvorsorge", sagt Professor Peter Hillemanns von der MHH.

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Professor Peter Hillemanns: Bei aktuell infizierten Frauen nützt die HPV-Impfung nichts mehr. Das ist in Studien bereits nachgewiesen worden.

Professor Peter Hillemanns: Bei aktuell infizierten Frauen nützt die HPV-Impfung nichts mehr. Das ist in Studien bereits nachgewiesen worden.

© Foto: privat

Ärzte Zeitung: Warum ist die Impfung gegen krebsauslösende humane Papillomviren (HPV) so wichtig?

Professor Peter Hillemanns: Die Impfung ist deshalb so wichtig, weil sie eine primärpräventive Maßnahme gegen Krebs ist. Wenn bereits eine Krebsvorstufe oder gar ein Karzinom entstanden ist, hat man zwar auch noch Handlungsmöglichkeiten, aber Primärprävention ist natürlich besser. Die Primärprävention von Zervixkrebs ist auch deshalb so wichtig, weil die Früherkennung noch nicht optimal genutzt wird. Nach der 1971 in Deutschland eingeführten Krebsvorsorge mit PAP-Abstrich erkranken pro Jahr mittlerweile zwar nur noch knapp 6500 Frauen an einem invasiven Zervix-Karzinom - ohne Vorsorge wäre nach Schätzungen mit etwa 30 000 Neuerkrankungen pro Jahr zu rechnen. Die Bilanz könnte aber noch besser sein. Denn es nehmen nur etwa 50 Prozent der Frauen an der jährlichen Vorsorgeuntersuchung teil. Und der HPV-Test, der - zusätzlich zum PAP-Abstrich - die Früherkennung von Zervixkrebs noch weiter verbessert, ist bisher nur ein IGeL-Angebot; er muss also von den Patientinnen selbst gezahlt werden. Da ist eine Impfung zur Primärprävention, die von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird, natürlich ein großer Gewinn.

Ärzte Zeitung: Auch geimpfte Frauen sollen jedoch zur jährlichen Krebsvorsorgeuntersuchung gehen...

Hillemanns: Ja, unbedingt. Die HPV-Typen 16 und 18, gegen die sich der Impfstoff richtet, lösen ja nur etwa 70 Prozent aller Zervixkarzinome aus. Für die restlichen 30 Prozent bleibt nach wie vor nur die Früherkennung durch die jährliche Krebsvorsorge.

Ärzte Zeitung: Vor kurzem haben sich Hinweise bestätigt, dass der Impfstoff Gardasil® über Kreuzreaktionen noch vor zehn weiteren krebsauslösenden HPV-Typen schützt. Diese sind vermutlich der Auslöser für weitere 10 bis 15 Prozent der Zervixkarzinome. Die Krebsvorsorge ist also trotzdem noch nötig...

Hillemanns: Auch wenn wir angesichts der neuen Studiendaten im Idealfall 80 bis 85 Prozent der Zervixkarzinome durch die Impfung verhindern können, sollte die Krebsvorsorge zusätzlich genutzt werden. Wir wissen auch noch nicht, wie lange diese Kreuzreaktivität anhält.

Ärzte Zeitung: Die HPV-Impfung schützt nach neuen Erkenntnissen nicht nur vor Vorstufen des Zervix-Karzinoms, sondern auch vor präkanzerösen Läsionen an Vagina und Vulva. Wie bedeutsam ist das?

Hillemanns: Diese beiden Karzinomarten sind deutlich seltener als das Zervix-Karzinom. So erkranken 2  pro 100 000 Frauen pro Jahr an einem Vulva-Ca und 12 pro 100 000 pro Jahr an Zervixkrebs. Und bei den Vulvakarzinomen sind auch nur etwa 50 Prozent HPV-induziert. Wir beobachten aber gerade bei den jüngeren Frauen einen Trend zur Zunahme des Vulvakarzinoms. Problematisch ist auch, dass es oft langwierige Laserbehandlungen bei den vulvären Vorstufen erfordert. Und häufig sind auch sehr verstümmelnde Operationen notwendig.

Ärzte Zeitung: Warum erkranken immer mehr Frauen an einem Vulva-Karzinom?

Hillemanns: Möglicherweise ist die zunehmende Promiskuität ein Grund für diese Entwicklung und vielleicht auch der Anstieg des Anteils der Frauen unter den Rauchern.

Ärzte Zeitung: Die HPV-Impfung ist eine rein präventive Impfung und sollte daher möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr stattfinden. Nützt sie auch Frauen, die sich bereits mit HPV-16 und -18 infiziert haben, diese beiden Erreger aber erfolgreich mit dem körpereigenen Immunsystem bekämpft haben?

Hillemanns: Wir wissen, dass eine durchgemachte HPV-Infektion, etwa mit HPV-16, keine 100prozentige natürliche Immunität hinterlässt, wie es in der Regel bei einer viralen Erkältungskrankheit der Fall ist. Wir wissen aber nicht genau, wie gut oder schlecht eine solche Frau vor einer weiteren Infektion mit dem gleichen HPV-Typ geschützt ist. Wir gehen davon aus, dass es auch schon mal Reinfektionen geben kann. Wenn man jedoch Frauen impft, die nicht mehr das Virus, sondern nur noch Antikörper haben, sind diese vor einer Re-Infektion geschützt.

Ärzte Zeitung: Sollte man also bei Frauen, die bereits Geschlechtsverkehr hatten, einen HPV-Test machen, um zu sehen, ob sich bei ihnen eine Impfung noch lohnt?

Hillemanns: Das würde ich nicht empfehlen. Denn wenn man einen der derzeit gängigen HPV-Tests macht, erfährt man lediglich, ob die betreffende Patientin mit sogenannten Hochrisiko-Viren infiziert ist, aber man weiß nicht, ob es einer von den beiden Virustypen ist, gegen die sich der Impfstoff richtet.

Ärzte Zeitung: Die HPV-Impfung vor dem ersten Geschlechtsverkehr verspricht also den meisten Erfolg?

Hillemanns: Ja. Wir wissen mittlerweile, dass selbst Frauen bis zum 45. Lebensjahr von der HPV-Impfung profitieren, aber eben nur dann, wenn sie zumindest von einem der beiden Virustypen, gegen die sich die Impfung richtet, noch frei ist. Bei welchen Frauen über 17 Jahre sich die Impfung noch lohnt, muss von Fall zu Fall entschieden werden.

Ärzte Zeitung: Wie hoch ist die Akzeptanz der HPV-Impfung?

Hillemanns: Berlin hat Anfang des Jahres hierzu eine Studie publiziert. Danach waren immerhin 60 Prozent der Jahrgangskohorte der 12- bis 17jährigen Mädchen geimpft. Das ist schon sehr viel. Und in Mecklenburg-Vorpommern hat eine Erhebung ähnliche Ergebnisse erbracht. Die Studiendaten stimmen auch mit den Verkaufszahlen überein. Die Impfung ist also bereits sehr gut angenommen worden.

Das Interview führte Ingrid Kreutz, Redakteurin der "Ärzte Zeitung",

Daten und Fakten zur HPV-Impfung

  • Im Oktober 2006 kam mit Gardasil® in Deutschland der erste Impfstoff zur Prävention des Zervix-Karzinoms und seiner Vorstufen auf den Markt. Die tetravalente Vakzine richtet sich gegen die humanen Papillomvirustypen 16 und 18. Sie lösen zusammen etwa 70 Prozent aller Zervix-Karzimome aus. Der Impfstoff schützt Frauen zu nahezu 100 Prozent vor Krebsvorstufen der Zervix, die mit HPV-16 oder -18 assoziiert sind.
  • Ein nahezu 100prozentiger Schutz besteht nach aktuellen Daten außerdem vor Neoplasien an Vagina und Vulva, die mit HPV-16 und -18 assoziiert sind. Und es haben sich Hinweise bestätigt, dass die Vakzine über Kreuzreaktionen vor Krebsvorstufen der Zervix schützt, die durch zehn weitere HPV-Virustypen ausgelöst werden.
  • Der tetravalente Impfstoff richtet sich aber nicht nur gegen krebsauslösende Viren, sondern auch gegen die warzenauslösenden HPV-Typen 6 und 11. Diese beiden Virustypen schützen zu nahezu 100 Prozent vor damit assoziierten Genitalwarzen. Die Viren sind an der Entstehung von etwa 90 Prozent der Genitalwarzen beteiligt und für 10 bis 20 Prozent der niedrig-gradigen zervikalen Dysplasien ursächlich.
  • Seit März 2007 empfiehlt die STIKO die HPV-Impfung für alle Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Da HPV sexuell übertragen wird, sollte vor dem ersten Geschlechtsverkehr geimpft werden. Für 12- bis 17jährige Mädchen ist die Impfung eine GKV-Pflichtleistung. Viele Kassen erstatten sie aber auch für Frauen bis 26 Jahre.

(ikr)

Zur Person

Professor Peter Hillemanns ist Sprecher der Deutschen Krebsgesellschaft zum Thema HPV-Impfung und Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Frauenheilkunde der MHH. Thema seiner Habilitation war: "Neue Ansätze in Diagnostik und Therapie intraepithelialer Neoplasien des unteren Genitaltrakts".

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