Forschung

Neues Organ entdeckt?

Eine bisher unentdeckte Struktur durchzieht den Körper: US-Forscher entdeckten das flüssigkeitsgefüllte Netzwerk durch Zufall. Es könnte offene Fragen zur Ausbreitung von Krebs erklären.

Veröffentlicht:

NEW YORK. Mediziner haben im Körper ein Netzwerk entdeckt, das den Organismus durchzieht und möglicherweise an der Ausbreitung von Krebs beteiligt ist.

Es gehört zum Interstitium, dem Zwischengewebe, das etwa unter der Haut liegt, aber auch Lungen, Verdauungstrakt und Harnwege auskleidet. Das Interstitium steht zudem in Verbindung mit Blutgefäßen, Lymphsystem und Muskelgewebe.

Zwar war es als festes Gewebe schon bekannt. Doch nun berichten US-Forscher von einem Netz von Hohlräumen darin, die Flüssigkeit enthalten und den Körper durchziehen (Scientific Reports 2018, online 27. März). Ein deutscher Experte spricht von einer wichtigen Erkenntnis, ein neuentdecktes Organ könne man dies aber nicht nennen.

Kollaps durch chemische Fixierung

Die Hohlräume waren den Forschern zufolge bisher unentdeckt geblieben, weil die chemische Fixierung von Gewebeproben zwar Zellelemente und Strukturen bewahrt, ihnen aber viel Flüssigkeit entzieht, so dass das Netzwerk kollabiert.

"Der durch die Fixierung entstandene Kollaps hat dafür gesorgt, dass das flüssigkeitsgefüllte Gewebe, das den ganzen Körper durchzieht, jahrzehntelang in Biopsieproben fest erschien", sagt Studienleiter Neil Theise vom Mount Sinai Beth Israel Medical Center in New York.

"Diese Erkenntnis hat das Potenzial für dramatische Fortschritte in der Medizin, darunter die Möglichkeit, dass Proben der Interstitialflüssigkeit ein wichtiges Diagnosewerkzeug werden."

Anscheinend dienen die winzigen Kanäle unter anderem als Puffer, wenn sich Gewebe zusammenzieht oder ausdehnt, um die Elastizität zu gewährleisten. Die Forscher vermuten auch, dass etliche Stoffe sich durch das Netzwerk verbreiten können, darunter Signalstoffe wie Hormone, oder auch Krebszellen.

Konfokale Laserendomikroskopie

Das Team um Theise kam der Entdeckung mit einem relativ jungen Verfahren auf die Spur. Mit der konfokalen Laserendomikroskopie lässt sich lebendes Gewebe genau untersuchen. Mit dem Verfahren hatten Ärzte des Krankenhauses 2015 den Gallengang eines Patienten analysiert.

Dabei entdeckten sie miteinander verbundene Hohlräume, die bislang noch nicht anatomisch beschrieben waren.

Bei der späteren pathologischen Untersuchung war die netzartige Struktur dann verschwunden. Weitere Analysen dieser fixierten Proben zeigten, dass bestimmte Strukturen Rückstände der kollabierten Hohlräume waren.

Andere Untersuchungen zeigten, dass das nun entdeckte System den ganzen Körper durchzieht. Würde man das Interstitium als Organ betrachten, würde es zu den größten im Körper zählen.

"Kein neues Organ!"

"Die Entdeckung ist sicherlich wichtig, aber es handelt sich nicht um ein neues Organ", sagt Professor Christian Trautwein von der Uniklinik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen. "Das Interstitium ist eine Grenzschicht an der Oberfläche vieler Organe und anderer Körperbereiche, die für Elastizität sorgt."

 Trautwein ist auch Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und vermutet, dass das Netz nicht nur als mechanischer Puffer dient, sondern auch eine Abwehrfunktion hat und Stoffe durch den Körper transportiert.

Dies zu klären, werde aber noch länger dauern, weil das Interstitium vermutlich je nach Organ verschiedene Aufgaben erfülle. So sei die Grenzfläche etwa im Verdauungstrakt zusätzlich wahrscheinlich sowohl an der Aufnahme von Nährstoffen beteiligt als auch an der Abwehr von Infektionen. (dpa)

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Kommentare
Rudolf Hege 31.03.201813:10 Uhr

Nichts Neues...

Die "Entdeckung" der Funktion des Interstitiums ist nicht neu. Alfred Pischinger (Ordinarius für Histologie an der Uni Wien), sowie später Hartmut Heine beschrieben den Aufbau, sowie die Funktion bereits 1953. Das Buch "Das System der Grundregulation" wurde in mehreren Auflagen gedruckt und in mehrere Sprachen übersetzt. Da hätten die aktuellen "Entdecker" vielleicht mal reinschauen sollen.
Eine kurze Zusammenfassung: http://www.anatomie-und-schmerz.de/Referate/2006/Abstract_2006_07.pdf

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