Progression bei Darmkrebs kann hinausgezögert werden

In den vergangenen Jahren haben sich die Therapiemöglichkeiten bei Patienten mit kolorektalem Karzinom verbessert. Möglich wurde dies durch neue Substanzen und neue Therapieprotokolle. Auch die Identifikation neuer Angriffspunkte, etwa die Rezeptoren von Wachstumsfaktoren wie VEGF oder EGFR, die das Tumorwachstum beeinflussen, hat zur Entwicklung neuer Therapiestrategien geführt.

Veröffentlicht:

Ulrike Maronde

Darmkrebs ist mittlerweile in den Staaten der Europäischen Union (EU) die häufigste Krebs-Neuerkrankung. Im vergangenen Jahr wurde EU-weit bei mehr als 279 000 Patienten die Diagnose Kolon- oder Rektumkarzinom gestellt - bei 149 000 Männern und 130 000 Frauen. Damit steht Darmkrebs bei den Krebs-Neuerkrankungen bei Frauen auf Platz 2 nach Brustkrebs und bei Männern auf Platz 3 nach Prostata- und Lungenkrebs. An der Erkrankung gestorben sind 2004 mehr als 139 000 Patienten in der EU (Ann Oncol 16, 2005, 481).

Stadieneinteilung bei kolorektalen Karzinomen
Stadien Kriterien
Stadium 0 Tis N0 M0

Stadium I

T1
T2

N0
N0

M0
M0

Stadium IIA
Stadium IIB

T3
T4

N0
N0

M0
M0

Stadium IIIA
Stadium IIIB
Stadium IIIC

T1, T2
T3, T4
jedes T

N1
N1
N2

M0
M0
M0

Stadium IV jedes T jedes N M1
Zuordnung
Primärtumor (T)
Tis Carcinoma in situ
T1 Tumor infiltriert Submukosa
T2 Tumor infiltriert Muscularis propria
T3 Tumor infiltriert in die Subserosa oder in nicht peritonealisiertes perikolisches oder perirektales Gewebe
T4 Tumor perforiert das viszerale Peritoneum oder infiltriert direkt in andere Organe oder Strukturen

Regionäre Lymphknoten (N)
N0 keine regionären Lymphknotenmetastasen
N1 Metastasen in 1–3 regionalen Lymphknoten
N2 Metastasen in 4 oder mehr regionalen Lymphknoten

Metastasen (M)
M0 keine Fernmetastasen
M1 Fernmetastasen vorhanden
Quelle: Graeven, nach Intern. Onkologie, Thieme, Tabelle: ÄRZTE ZEITUNG
Die Klassifizierung eines kolorektalen Karzinoms erfolgt nach dem TNM-System der UICC (Union Internationale Contre le Cancer).

Eine Heilung von Patienten mit kolorektalem Karzinom (KRK) ist nur möglich, wenn der Tumor im frühen Krankheitsstadium entdeckt wird und eine vollständige Resektion gelingt. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate beträgt nach Angaben von Privatdozent Dr. Ullrich Graeven aus Mönchengladbach über alle Stadien etwa 50 Prozent. Die Lebenserwartung der Betroffenen hängt vor allem davon ab, ob Fernmetastasen auftreten, was häufig ist, oder ob es bei Lokalrezidiven bleibt. Bei 85 Prozent der Patienten kommt es innerhalb von zwei Jahren zu Rezidiven.

In den vergangenen Jahren sind neue Substanzen und Therapieprotokolle entwickelt worden, die besser wirksam sind und somit das progressionsfreie und das Gesamtüberleben verlängern. Außerdem haben sie den Vorteil, daß sie von den Patienten meist besser vertragen werden.

Bevacizumab - erster Angiogenesehemmer am Markt

Für Patienten mit metastasierter Erkrankung steht seit kurzem in Deutschland und der EU mit Bevacizumab (Avastin®) ein Medikament mit völlig neuem Wirkungsansatz zur Verfügung: Es drosselt gezielt die Gefäßneubildung (Angiogenese) im Tumorgewebe und verhindert dadurch das weitere Tumorwachstum. Denn wachsende Tumore brauchen ein eigenes Gefäßnetz für die ausreichende Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen.

Bevacizumab ist ein rekombinanter monoklonaler Antikörper, der an den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (vaskular endothelial growth factor) bindet. Die Gen-Expression von VEGF wird zum Beispiel durch lokalen Sauerstoffmangel, Zytokine oder andere Wachstumsfaktoren angekurbelt. VEGF bindet an Oberflächenrezeptoren von Endothelzellen in Venen und Arterien, was letztlich eine Gefäßneubildung induziert. Da Bevacizumab den VEGF abfängt, kann dieser nicht an seine Rezeptoren andocken - die Angiogenese wird somit unterbunden.

Zugelassen ist die neue Substanz für die First-Line-Therapie bei metastasiertem KRK in Kombination mit intravenösem 5-Fluorouracil / Folinsäure (5-FU / FS) oder 5-FU / FS / Irinotecan. Durch diese Behandlung überleben die Patienten im Mittel fünf Monate länger, wie die Zulassungsstudie mit 813 Patienten ergeben hat (New Engl J Med 350, 2004, 2335).

Die Patienten erhielten in der Studie zusätzlich zur Therapie mit 5-FU / FS / Irinotecan entweder alle 14 Tage eine Infusion mit Bevacizumab (5 mg / kg KG) oder Placebo. Mit dem Angiogenesehemmer überlebten die Patienten im Durchschnitt 20,3 Monate, mit Placebo 15,6 Monate. Das progressionsfreie Überleben betrug im Mittel 10,6 Monate, mit Placebo 6,2 Monate. Die Ansprechrate (partielle und komplette Remission) betrug 45 Prozent mit Bevacizumab und 35 Prozent mit Placebo.

Inwieweit Bevacizumab auch für die adjuvante Therapie bei Patienten mit KRK in den Stadien II und III wirksam ist, wird nun in einer großen internationalen Studie geprüft: 3600 Patienten werden entweder mit Bevacizumab plus 5-FU / FS / Oxaliplatin oder plus Capecitabin / Oxaliplatin behandelt.

Cetuximab für Patienten mit EGFR-positivem Karzinom

Eine weitere neue Therapieoption bei metastasiertem KRK, die seit Mitte letzten Jahres zur Verfügung steht, ist Cetuximab (Erbitux®). Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der gegen den Rezeptor des epidermalen Wachstumsfaktors (EGFR) gerichtet ist. Patienten, deren Tumorzellen EGFR exprimieren, haben eine schlechte Prognose.

EGFR beeinflußt die Überlebensfähigkeit von Zellen, den Zellzyklus, die Angiogenese und die Metastasierung. Cetuximab blockiert den EGF-Rezeptor und kann gezielt zytotoxische Effektorzellen des Immunsystems auf die EGFR-exprimierenden Tumorzellen lenken.

Zugelassen ist das Medikament als Second-Line-Therapie für Patienten mit EGFR-positivem, metastasiertem KRK, die auf eine Irinotecan-basierte Chemotherapie nicht ausreichend angesprochen haben. Die Zulassung basiert unter anderem auf der BOND-Studie (Bowel Oncology with Cetuximab Antibody), in der 329 Patienten entweder mit Cetuximab als Monotherapie oder in Kombination mit Irinotecan behandelt wurden. Einbezogen wurden Patienten mit EGFR-positivem, fortgeschrittenem KRK, bei denen es zuvor mit einer Irinotecan-haltigen Chemotherapie zur Progression der Erkrankung gekommen war.

Mit der Kombinationstherapie wurde bei 55 Prozent der Patienten eine Remission oder zumindest eine Stabilisierung der Erkrankung erreicht, mit der Monotherapie bei 32 Prozent. Die Progression der Erkrankung wurde signifikant hinausgezögert, im Mittel trat sie nach 4,1 Monaten (Monotherapie: 1,5 Monate) ein. Auch überlebten die Patienten mit der Kombinationstherapie deutlich länger: 8,6 vs. 6,9 Monate (N Engl J Med 351, 2004, 11). Anhand der Studienergebnisse wird auch deutlich, daß mit Cetuximab die zuvor nicht mehr wirksame Irinotecan-Therapie wieder erfolgreich ist.

Bessere Wirksamkeit mit Dreifachkombinationen

Seit Anfang der 90er Jahre ist die Therapie mit 5-FU / FS i.v. Standard bei Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium gewesen. Dabei hat sich die kontinuierliche Infusion als besser verträglich erwiesen als die Bolus-Therapie. Durch Kombination dieser Therapie mit anderen Substanzen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Ansprechraten und das mediane Überleben der Darmkrebs-Patienten zu erhöhen.

So konnte in der First-Line-Therapie bei Patienten in der palliativen Situation mit dem Topoisomerase-Hemmer Irinotecan (Campto®) in Kombination mit 5-FU / FS im Vergleich zu alleinigem 5-FU / FS eine signifikante Verbesserung der Ansprechrate, des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens erzielt werden.

Auch Oxaliplatin (Eloxatin®) in Kombination mit 5-FU / FS in der First-Line-Therapie bewirkte bei diesen Patienten im Vergleich zur 5-FU / FS-Standardtherapie eine höhere Ansprechrate und eine bessere Überlebensrate.

Aufgrund der besseren Therapieergebnisse dieser Dreierkombinationen bei metastasierter Erkrankung sind sie in Phase-III-Studien inzwischen auch in der adjuvanten Therapie eingesetzt worden.

In der MOSAIC-Studie (Multicenter International Study of Oxaliplatin / 5-FU / FS in the Adjuvant Treatment of Colon Cancer) wurden 2246 Patienten mit KRK in den Stadien II und III nach vollständiger Entfernung des Tumors (R0-Resektion) entweder sechs Monate lange nach dem de Gramont-Schema mit 5-FU / FS behandelt, oder sie erhielten nach dem FOLFOX-4-Schema 5-FU / FS plus Oxaliplatin.

Im Oxaliplatin-Arm lebten nach im Mittel 38 Monaten noch 78 Prozent der Patienten rezidivfrei, in der Vergleichsgruppe waren es 73 Prozent. Betrachtet man nur die Patienten im Stadium III, so war der Unterschied mit 72 vs. 65 Prozent noch deutlicher (New Engl J Med 350, 2004, 2343). Aufgrund der Ergebnisse der MOSAIC-Studie ist die FOLFOX-4-Kombination im September vorigen Jahres von der Europäischen Zulassungsbehörde für die adjuvante Therapie bei Patienten mit Kolonkarzinom im Stadium  III zugelassen worden.

Orale 5-FU-Prodrugs vereinfachen die Therapie

Zur 5-FU-Infusionstherapie gibt es mittlerweile mit den 5-FU-Prodrugs - den oralen Fluoropyrimidinen Tegafur / Uracil und Capecitabin - besser verträgliche und durch die orale Therapie auch patientenfreundlichere Alternativen. Für Tegafur / Uracil (UFT®), das in der Leber in 5-FU umgebaut wird, sind in Studien ähnliche Remissionsraten und mediane Überlebenszeiten nachgewiesen worden wie mit 5-FU / FS als Bolus-Regime.

Mit Capecitabin (Xeloda®), das in den Tumorzellen in das zytotoxische 5-FU umgewandelt wird, waren das progressionsfreie und das Gesamtüberleben ähnlich wie bei dem 5-FU / FS-Standardprotokoll. Belegt werden konnte dies in der X-ACT-Studie (Xeloda in Adjuvant Colon Cancer Therapy), an der fast 2000 Patienten mit KRK im Stadium III teilgenommen haben.

Sie wurden nach der Tumorresektion entweder sechs Monate lang mit 5-FU / FS oder mit Capecitabin behandelt. Mit 5-FU / FS lebten nach knapp vier Jahren noch 62 Prozent der Patienten ohne Rezidive, mit Capecitabin waren es 66 Prozent. Dabei wurde die Capecitabin-Therapie von den Patienten signifikant besser vertragen (Ann Oncol 15, 2004, Suppl. 3, Abstract 276PD). Aufgrund der X-ACT-Ergebnisse hat Capecitabin im Februar dieses Jahres eine Zulassungsempfehlung in der EU für die adjuvante Therapie erhalten.

Auch die Kombination von Capecitabin mit Oxaliplatin (CAP-OX) hat sich nach ersten Zwischenergebnissen von Phase-III-Studien, die beim Kongreß der European Society for Medical Oncology (ESMO) in Wien vorgestellt wurden, in der First-Line-Therapie als ähnlich wirksam, aber besser verträglich erwiesen als die Kombination 5-FU / FS plus Oxaliplatin (FU-OX).

So wurden in einer Studie bei 420 Patienten mit metastasiertem KRK Ansprechraten von jeweils 42 (CAP-OX) und 44 Prozent (FU-OX) erzielt. Die rezidivfreie Zeit war mit im Mittel 8 Monaten (FU-OX) und 7,5 Monaten (CAP-OX) ähnlich. Schwerwiegende Nebenwirkungen (Toxizitätsgrad 3 / 4) wie Neutropenie und Neuropathie traten im CAP-OX-Arm seltener auf (Ann Oncol 15, 2004, Suppl. 3, Abstract 272PD).

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