Realität, Traum oder Täuschung - was ist ein Déjà-vu?

HAMBURG (dpa). Die meisten Menschen haben es mindestens einmal erfahren: Das Gefühl, eine neue Situation, einen neuen Ort schon einmal erlebt zu haben. Es währt gewöhnlich nur einen Augenblick. Schnell kommt dann die Einsicht, daß man der Situation in Wirklichkeit noch nicht begegnet ist, den Ort noch nicht kennen kann.

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Trotzdem gehen auch Wissenschaftler davon aus, daß so etwas teilweise oder ganz in unserem Gedächtnis vorhanden ist. Das Phänomen, für das es seit dem 19. Jahrhundert den französischen Begriff Déjà-vu (schon gesehen) gibt, kann Menschen faszinieren oder auch erschrecken - umso mehr als es von der Wissenschaft noch nicht schlüssig erklärt ist.

    Vermutlich sind am Déjà-vu viele Gehirnregionen beteiligt.
   

Immerhin gibt es erhellende wissenschaftliche Erklärungsansätze für diese Erscheinung, in der einige Menschen wiederum eher einen Hinweis auf Seelenwanderung und Wiedergeburt sehen. Ein Ausgangspunkt für Forscher ist die Hypothese, daß der Eindruck des Déjà-vu die Erinnerung an ein Ereignis ist, von dem man geträumt hat.

Die französischen Autoren Marc Tadie und sein Bruder Jean-Yves, der eine Direktor eines neurochirurgischen Universitätsinstituts, der andere Literaturprofessor, beschreiben das in ihrem Buch "Im Gedächtnispalast" (Verlag Klett-Cotta). Es sei nämlich charakteristisch für Déjà-vu- Erlebnisse, daß man einen Augenblick lang sicher sei, die Situation erlebt zu haben, aber sich nicht an den Zeitpunkt erinnere.

Auch die Beschreibung von Träumen in literarischen Werken kann ein Ansatz zum Verstehen von Déjà-vu-Erlebnissen sein. "Im Traum kann sich das Bewußtsein frei in einem Raum ohne Grenzen bewegen, in dem sich Vergangenheit und Zukunft mischen", bemerken die beiden Franzosen dazu.

Ein Beitrag des Magazins "Gehirn & Geist" (Heidelberg, 4/2004) zum Thema Déjà-vu verweist auf weitere Forschungen über Gedächtnisprozesse. Ergebnisse von John D.E. Gabrieli und seinen Mitarbeitern an der amerikanischen Stanford University etwa legen die Annahme nahe, daß die Gehirnstrukturen Hippocampus und parahippocampaler Cortex unterschiedliche Funktionen in diesem Prozeß erfüllen.

So erlaube der Hippocampus das bewußte Erinnern von Erlebnissen, der Parahippocampus könne hingegen zwischen vertrauten und unvertrauten Reizen unterscheiden, und zwar ohne dabei unbedingt auf eine konkrete Erinnerung zurückzugreifen.

Josef Spatt vom Ludwig-Boltzmann-Institut in Wien hat hiervon ausgehend die Hypothese formuliert, ein Déjà-vu entstehe dann, wenn der Parahippocampus ohne Beteiligung des Hippocampus ein Vertrautheitsgefühl auslöst. In diesem Augenblick nämlich würde eine momentan wahrgenommene Szene als bekannt empfunden, obgleich sie zeitlich nicht eindeutig zugeordnet werden könne.

Wie der Autor des "Gehirn & Geist"-Beitrags, der am Institut für Psychologie der Universität Halle-Wittenberg über Selbstentfremdung und Erinnerungsphänomene forschende Uwe Wolfradt schreibt, sind am Déjà-vu vermutlich viele verschiedene Hirnregionen beteiligt. "Die intensiven Gefühle der Selbst- und Wirklichkeitsentfremdung etwa sowie das mitunter veränderte Zeitgefühl deuten auf komplexe Bewußtseinsvorgänge hin."

Anders als bei einem Menschen, der ein Déjà-vu erlebt und den Bruchteil eines Augenblicks an der Wirklichkeit zweifelt, erlaubten diese "kleinen Fehler" Neurowissenschaftlern einen ungewöhnlichen Einblick in die Wirklichkeit der Bewußtseinsprozesse. "Vielleicht hilft die weitere Erforschung von Déjà-vus nicht nur zu klären, wie Gedächtnistäuschungen entstehen, sondern auch, wie es dem Gehirn überhaupt gelingt, ein kontinuierliches Abbild der Realität herzustellen", so Wolfradt.

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