Wie viele Psychotherapeuten braucht das Land?

Eine Studie der KBV zeigt die Lücken bei der Versorgung psychisch kranker Menschen auf. Mehr Sitze für Psychotherapeuten seien aber nicht das alleinige Mittel der Wahl, sagt der KBV-Chef - und muss sich sogleich harsche Kritik anhören.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Der Weg zum Psychotherapeuten ist mit vielen Hürden verbunden. Die KBV plädiert für einen niedrigschwelligen Zugang.

Der Weg zum Psychotherapeuten ist mit vielen Hürden verbunden. Die KBV plädiert für einen niedrigschwelligen Zugang.

© Gina Sanders / fotolia.com

BERLIN. Jährlich erkranken 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland an psychischen und psychosomatischen Störungen - nicht alle bleiben aber dauerhaft bestehen. Einen Therapieplatz zu finden sei jedoch mit vielen Hürden verbunden, kritisieren Experten.

Schon auf ein Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten warten die Betroffenen oft drei Monate. Kassen beanstanden hingegen, dass bereits jetzt viele Regionen überversorgt seien.

Grund genug, die Versorgung psychisch kranker Menschen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat bei den Universitäten Gießen und Heidelberg eine Studie in Auftrag gegeben, die Klarheit darüber schaffen soll, wie es tatsächlich um die Versorgungssituation psychisch kranker Menschen steht.

Am Montag wurde in Berlin eine erste Zwischenbilanz vorgestellt. Eine Kernaussage: Die Betroffenen finden bereits heute ein differenziertes Versorgungsangebot vor. "Die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland ruht auf drei Säulen: der ärztlich-psychiatrischen, ärztlich-psychosomatischen und der psychologischen", sagte KBV-Chef Andreas Köhler.

Kaum vernetzte Versorgungsangebote

Die Patienten könnten sich demnach je nach Krankheitsbild und persönlicher Präferenz für eine Form der Behandlung entscheiden. "Dabei ist der Hausarzt der zentrale Ansprechpartner für viele Patienten", so Köhler. 70 Prozent würden sich bei Schmerzen ohne körperliche Erkrankung zuerst an ihn wenden.

Aber in vielen Bereichen hakt es noch gewaltig: Vor allem fehlt nach wie vor ein vernetztes Versorgungsangebot. Gerade die Weiterbehandlung bereite viel Kopfzerbrechen, sagte Köhler: "Gelingt es uns wirklich, die Patienten in die für sie richtige Versorgung zu lenken?"

Ob sich zum Beispiel das Problem der langen Wartezeiten einfach mit mehr Sitzen für Psychotherapeuten lösen lasse, sei derzeit noch nicht geklärt, betonte der KBV-Chef. Womöglich handle es sich um eine Fehlversorgung, die sich nicht mit der Bedarfsplanung lösen lasse.

Köhler plädierte zudem für ein "niedrigschwelliges psychotherapeutisches Angebot" für Patienten. Die bisherigen Zeitkontingente der Richtlinien-Psychotherapie seien nicht mehr zeitgemäß. Er forderte den Gemeinsamen Bundesausschuss auf, Möglichkeiten außerhalb dieser starren Schemata zu schaffen.

Psychotherapeuten wehren sich

Dies rief umgehend Kritiker aus den Reihen der Psychotherapeuten auf den Plan: Die Studie lasse bislang mehr Fragen offen, als sie beantworte. Der Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, Dieter Best, widersprach sogar vehement: "Der Zugang zur Psychotherapie ist bereits heute niedrigschwellig."

Patienten könnten wählen, zu welchem Psychotherapeuten sie gehen wollten. "Das Problem sind nach wie vor die Wartezeiten", so Best. Seiner Meinung nach ein Beleg dafür, dass es zu wenig Therapeuten gebe. Genaue Zahlen ließen sich allerdings nicht nennen - dafür fehle es nach wie vor an Studien.

Vor allem müsse jedoch Aufklärungsarbeit geleistet werden. "Viele psychisch kranke Menschen haben immer noch Angst vor einer Stigmatisierung", warnte Best.

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