Trauernde Menschen haben andere Symptome als Depressive

Wenn nahestehende Menschen sterben, entwickeln Freunde und Angehörige oft Depressionssymptome. Diese gehen in der Regel auch ohne Behandlung rasch vorbei und erhöhen nicht das Risiko, später erneut depressiv zu werden.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Wenn ein nahestender Mensch stirbt, trauern die meisten Menschen über einen bestimmten Zeitraum - häufig ohne wiederkehrende depressive Episoden.

Wenn ein nahestender Mensch stirbt, trauern die meisten Menschen über einen bestimmten Zeitraum - häufig ohne wiederkehrende depressive Episoden.

© Mara Susanna Marucci / iStockphoto

BALTIMORE. Der Streit ist wohl schon so alt wie die Psychiatrie selbst: Haben trauernde Menschen tatsächlich eine Depression und benötigen therapeutische Hilfe? Oder hat Trauer nichts mit typischen Depressionen zu tun?

Sigmund Freud etwa warnte davor, Trauer als pathologischen Zustand zu betrachten. Und auch heute sehen viele Psychiater und Therapeuten in der Trauer eine Ausnahmesituation, aber letztlich eine normale, gesunde Reaktion.

Trauerbezogene Episoden sind keine Major Depression

Dies spiegelt sich auch in den Diagnosekriterien etwa des DSM-IV wider. Hier werden trauerbezogene, kurze depressive Episoden nicht der Major Depression zugeordnet. Inzwischen gibt es aber Bestrebungen, genau dies im neuen psychiatrischen Handbuch DSM-V zu tun, das 2013 veröffentlicht werden soll.

Die Begründung der Befürworter: In Studien konnte bei Symptomen und Verlauf nicht eindeutig zwischen trauerbezogenen Depressionen und anderen Formen unterschieden werden.

Vor diesem Hintergrund hat Dr. Ramin Mojtabai von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore Daten der großen Bevölkerungsstudie NESARC mit über 43.000 Personen ausgewertet (Arch Gen Psychiatry 2011; 68(9): 920).

Trauernde fühlen sich seltener wertlos als Depressive

Zwischen 2001 und 2005 wurden die Teilnehmer aus Hawaii und Alaska regelmäßig auch auf Depressionssymptome hin befragt. Knapp 1200 der Teilnehmer hatten in den zwei Monaten vor Beginn der Studie eine kurze depressive Episode gehabt, etwa 450 davon aufgrund eines Trauerfalls. Rund 5000 Teilnehmer gaben längere oder wiederkehrende Depressionen in ihrer Vergangenheit an.

Der Forscher fand nun, dass sich die Symptome bei den Teilnehmern mit trauerbezogenen Episoden deutlich von denjenigen unterschieden, bei denen kein Trauerfall vorlag.

So fühlten sich Trauernde seltener wertlos als andere Depressive (30 versus 53 Prozent), hatten seltener Suizidgedanken (11 versus 24 Prozent), seltener ein erhöhtes Schlafbedürfnis (32 versus 44 Prozent) und klagten weniger häufig über Erschöpfung (75 versus 84 Prozent).

Auch beim Verlauf ergaben sich deutlich Unterschiede: So traten weitere depressive Episoden bei Trauernden nicht signifikant häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung (8,2 versus 7,5 Prozent).

Trauernde unterscheiden sich symptomatisch von anderen Depressiven

Dagegen kam es bei nicht trauernden Teilnehmern, die ebenfalls kurze depressive Episoden vor Studienbeginn hatten, im Verlauf deutlich häufiger zu neuen Episoden (14,7 Prozent), und bei 27 Prozent der Personen, die in der Vergangenheit immer wieder depressive Episoden hatten, traten solche auch im Studienverlauf auf.

Wurden Komorbiditäten betrachtet, gab es ebenfalls Unterschiede: Die Trauernden hatten etwa halb so oft Angststörungen und Dysthymien wie andere Depressive, und sie wurden auch nur halb so oft durch die Symptome im Alltag eingeschränkt.

Das Fazit von Mojtabai: Trauernde unterscheiden sich symptomatisch von anderen Depressiven. Der Verlauf der Episode ist meist selbstlimitierend. Daher sollten Trauernde auch weiterhin nicht als behandlungsbedürftige Patienten mit Major Depression eingestuft werden.

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