Arznei-Projekt von AOK und KV Hessen ist stark umstritten

FRANKFURT/MAIN (ine). "Mehr Medizin, weniger Pillen" - die KV Hessen und die AOK haben sich zum Ziel gesetzt, Arzneimittelkosten zu senken sowie Ärzte und Patienten unabhängig von der Industrie über Arzneimittel zu informieren. Das vor sechs Monaten gestartete Projekt ist umstritten. Kritik kommt unter anderem auch von Vertragsärzten.

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"Sie erdreisten sich, ihren Kollegen eine lächerliche Audioakademie aufs Auge zu drücken, um mit Regress-Ängsten pseudoaufklärerisch die Basis weiter bei der Stange zu halten", empört sich zum Beispiel ein Allgemeinmediziner in einem Brief an den KV-Vorstand. Grund des Ärgers ist ein Hörbuch zum Thema Marketingstrategien. Es soll die Vertragsärzte über die Strategien informieren, die hinter den Besuchen von Außendienstmitarbeitern stecken.

Nur mit harten Fakten seien Ärzte in der Lage, dem Marketingdruck der Pharmaindustrie wirksame Argumente entgegen zu setzen, meint Dr. Gerd W. Zimmermann, Vize-Chef der KV Hessen. Ziel sei nicht, Außendienstmitarbeiter "zu unerwünschten Personen" in den Praxen zu machen, stellt Zimmermann fest. Es gehe vielmehr darum, dass Ärzte den Vertretern auf Augenhöhe begegnen. "Der Arzt ist der Fachmann, nicht die Marketing-Fachleute der Pharmaindustrie", so Zimmermann.

Damit Ärzte in den Praxen möglichst rational und wirtschaftlich verordnen, bekommen sie von KV und AOK zudem spezielle Infos. In der Praxis sieht es so aus, dass Ärzten in einem Schreiben mehrere Alternativen zu einem Wirkstoff aufgezeigt werden. Im Anhang bekommen sie dann die Namen von AOK-Patienten genannt, denen sie bislang immer das teure Medikament verordnet haben. "Das Ganze ist verbunden mit dem Vorschlag, die Medikation zu überdenken", sagt Peter Litzinger von der AOK in Eschborn. Vorteil: "Ärzte müssen keine Angst vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen haben, wenn sie die kostengünstigen Alternativen verschreiben", so der AOK-Vertreter.

Da Ärzte die Medikamentenlisten derzeit nur auf Papier und nicht elektronisch bekommen (Zimmermann: "Das ist die Achillesferse des Projektes") - sollen die Vertragsärzte eine Aufwandsentschädigung bekommen. Unter anderem sollen Qualitätszirkel zur Pharmakotherapie unterstützt werden. Gelingt es Ärzten, Patienten auf ein preisgünstiges Medikament umzustellen, sollen sie zudem extrabudgetär 20 Euro pro Jahr und Patient bekommen. Mit einem Bonus, wie es das Arzneispargesetz (AVWG) vorsieht, sei diese Honorierung nicht zu vergleichen, so Zimmermann auf Anfrage der "Ärzte Zeitung": "Es ist kein Bonus, sondern eine Aufwandsentschädigung für den Aufwand, den der Arzt damit hat."

Die Kritiker des Projektes kommen aus den eigenen Reihen der KV - "es sind vor allem Fachärzte, die dagegen sind", sagt Zimmermann. Viele Hausärzte seien dafür. Der KV-Vize verweist auf eine Umfrage unter 8000 Vertragsärzten im Januar. Knapp 1200 Niedergelassene hatten sich daran beteiligt. Unter anderem waren 70 Prozent der Befragten dafür, von der AOK über Verkaufsstrategien der Arzneimittelhersteller aufgeklärt zu werden, um den Verordnungsdruck in den Praxen zu reduzieren.

Gegenwind kommt allerdings auch von Hessens Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU) in Wiesbaden. Sie hatte kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Pharmaindustrie viele Arbeitsplätze in Hessen sichere.

Und auch die Landesärztekammer will das Projekt künftig kritisch begleiten. Nur auf die Arzneimittelhersteller zu schimpfen, sei nicht fair, sagt Kammerchefin Dr. Ursula Stüwe. Marketing sei das gute Recht eines jeden Wirtschaftsunternehmens.

Stüwe kritisiert auch, dass durch die ersten Anschreibe-Aktionen viele Patienten verunsichert worden sind - und die Ärzte es wieder gerade rücken mussten. Wie berichtet, hatte die AOK auch chronisch Kranke aufgefordert, ihre Medikation zu überdenken. Dies soll künftig nicht mehr vorkommen, versichert Zimmermann.

Weitere Infos dazu im Internet unter www.kv-hessen.de

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