"Auch Unangepaßte waren betroffen"

Von Katrin Zeiß Veröffentlicht:

Mit den Zwangssterilisationen so genannter "erbkranker" Menschen durch die Nationalsozialisten begann vor 70 Jahren ein beispielloses Verbrechen. Über 400 000 Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche wurden zwischen 1934 und 1945 zwangsweise unfruchtbar gemacht. Auf ihre Rehabilitierung warten viele Opfer noch heute.

"Das Nazi-Gesetz, mit dem ihr Leid begann, ist vom Bundestag bis heute nicht für nichtig erklärt worden", sagt Margret Hamm, Geschäftsführerin des Bundes der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten in Detmold. Sie hat nun die Politiker aufgefordert, das Gesetz für nichtig zu erklären.

Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" war am 1. Januar 1934 in Kraft getreten. Es bildete die Grundlage für die Eingriffe an Behinderten und psychisch Kranken, Gehörlosen, Blinden und Alkoholsüchtigen. "Auch unangepaßte Menschen waren betroffen", sagt die Medizinhistorikerin Susanne Zimmermann von der Universität Jena.

An den sogenannten "Erbgesundheitsgerichten" entschieden von den Nazis ausgewählte Mediziner über die Sterilisation, speziell ermächtigte Ärzte führten sie aus. Der Psychiater Werner Villinger, Chefarzt der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel bei Bielefeld, hatte zum Beispiel nach Erkenntnissen von Historikern von 1934 bis 1936 insgesamt 2854 Bewohner zur Zwangssterilisation geschickt. Von 1937 an entschied er als "Erbgesundheitsrichter" in Hamm selbst über die Eingriffe, ab 1941 schickte er als Gutachter Behinderte in die Gaskammern.

Erst 1998 hob die Bundesrepublik die Beschlüsse der Erbgesundheitsgerichte auf. "Trotzdem gelten Zwangssterilisierte bis heute nicht als NS-Verfolgte", kritisiert Margret Hamm. In Westdeutschland konnten sie erst 1980 eine Einmalzahlung von 5000 Mark (rund 2556 Euro) als Entschädigung beantragen.

"Nur 14 000 Betroffene haben eine solche Zahlung tatsächlich erhalten." Die DDR strich die Zwangssterilisierten 1952 aus der Liste der NS-Verfolgten und nahm ihnen damit jeden Anspruch auf Entschädigung. Im vereinigten Deutschland haben die Betroffenen seit 1990 Anspruch auf eine bescheidende monatliche Beihilfe von derzeit 61 Euro.

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