Einer der wenigen Amtsärzte, die sich der NS-Diktatur widersetzten

Von Klaus Brath Veröffentlicht:

Ärztliche Tätigkeit steht in einem steten Spannungsfeld zwischen individuellem Ethos und staatlichem Anspruch - einem Spannungsfeld, für das in der NS-Diktatur massive innere und äußere Konflikte vorgezeichnet waren. Als einer der wenigen deutschen Amtsärzte widersetzte sich der Kölner Dr. Franz Vonessen (1892 bis 1970) der vom NS-Staat verordneten Zwangssterilisierung sogenannter erbkranker Menschen und nahm dafür negative Konsequenzen in Kauf.

Eine neue Biographie des Historikers und Theologen Klaus Schmidt erinnert an das gefährdete Leben des couragierten Mediziners und Gesundheitspolitikers: "Das gefährdete Leben". Für dieses Buch hat Schmidt Dokumente und Briefe ausgewertet sowie Gespräche mit Vonessens Kindern geführt.

Vonessen plädierte für die Unterstützung des Schwächsten

Franz Vonessen - katholischer Urenkel eines konvertierten Essener Juden - war von 1921 bis 1935 Stadtarzt am Kölner Gesundheitsamt. In seinen Vorträgen und Publikationen jener Zeit war von den zeittypischen, nicht nur im Deutschen Reich grassierenden eugenischen Bestrebungen nichts zu hören und zu lesen.

Um so stärker plädierte der von der katholischen Soziallehre geprägte Arzt für uneingeschränkte Unterstützung gerade der Schwächsten - eine Haltung, die in krassem Widerspruch zu den Maximen der NS-Medizin (Heilen des "Volkskörpers" und Vernichten der "Lebensunwerten") stand.

Bereits 1933 schuf die nationalsozialistische Regierung mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" die Grundlage für ihre Politik der Eugenik und "Rassenhygiene". Obwohl die Erblichkeit der gesetzlich definierten "Erbkrankheiten" - zum Beispiel Schwachsinn, Schizophrenie, Blindheit - selbst unter den Befürwortern des Gesetzes durchaus umstritten war, wurden in der NS-Zeit schließlich 400 000 Männer und Frauen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht und seelisch dauerhaft geschädigt. In Köln verweigerte Vonessen aus religiösen Gründen jede Mitwirkung an den Zwangssterilisationen.

1935 wurde er von der nationalsozialistischen Kölner Stadtverwaltung zwangsweise in Pension geschickt; eine lebensgefährliche Erkrankung bewahrte ihn möglicherweise vor Schlimmerem. Nach seiner Genesung eröffnete er 1937 eine eigene Praxis, die zum Sammelpunkt von Regimegegnern wurde, und er half verfolgten Mitbürgern mit weitherzigen Attesten und Lebensmittelkarten.

1945 übertrug ihm die amerikanische Militärregierung die Leitung des Kölner Gesundheitsamtes, für das er bis 1957 tätig war. Auch machte er sich einen Namen als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Deutschen Städtetages.

So standhaft sich Vonessen in der NS-Zeit auch verhielt, an einer öffentlichen Aufarbeitung des Umgangs mit den sogenannten "Erbkranken" beteiligte er sich in der Nachkriegszeit nicht - es herrschte damals nicht nur in Köln "vergangenheitspolitisches Schweigen" (Schmidt).

All dies ist in Schmidts flüssig geschriebenem Buch nachzulesen: einer gründlichen Dokumentation Kölner Stadtgeschichte, einer informativen Einführung in die NS-Gesundheitspolitik und vor allem einem anschaulichen Porträt eines verantwortungsvollen Arztes.

Klaus Schmidt: "Das gefährdete Leben. Der Kölner Arzt und Gesundheitspolitiker Franz Vonessen (1892-1970)". Greven Verlag, Köln. 19,90 Euro.

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