Sinfonie des Lebens - die Vertonung des Erbguts

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Von Gunnar Leue

Der Berliner Komponist Thilo Krigar vertont den genetischen Informationsfluß der DNA. Nach jahrelanger Vorbereitung und fachlicher Unterstützung durch Mediziner wird das komplette Werkes nun aufgeführt.

Seit fast fünf Jahren arbeitet Thilo Krigar an einer Komposition, die man wohl schon jetzt als sein Lebenswerk bezeichnen darf: die Vertonung des menschlichen Erbguts.

Wenn der 43jährige Berliner darüber spricht, macht er nicht den Eindruck eines Spinners. Eher den eines klugen und neugierigen Menschen, der sich in einem künstlerischen Abenteuer verstrickt hat. Vielleicht ist auch das eine Frage der Gene, denn Thilo Thomas Krigar entstammt einer alten Künstlerfamilie, in deren Stammbaum auch der Maler Adolf Menzel zu finden ist.

Zwei Mediziner sind wissenschaftliche Berater

Früh zog es ihn zur Musik. Als er mit 16 Jahren beim Unterricht mit einem Freund Bachs "Kunst der Fuge" spielte, begeisterte sich ihre Lehrerin an einer besonders komplizierten Stelle: Wenn man das versteht, versteht man die Schöpfung! "Es ließ uns nicht mehr los." Die Freunde waren "regelrecht fasziniert von dem Gedanken, Genialität anschaulich werden zu lassen".

Der eine wurde später Komponist, der andere Molekularmediziner. Irgendwann trafen sie sich wieder, und seither fungiert Andreas Neubauer, Professor für molekulare Onkologie an der Philipps-Universität Marburg, als wissenschaftlicher Berater von Thilo Krigar.

Der eigentliche Auslöser für sein musikalisches Genom-Projekt war das Buch "Gödel, Escher, Bach" des Physikers und Philosophen Douglas R. Hofstadter. "Seit ich es vor 20 Jahren las, habe ich immer mit der Idee gespielt, den biologischen Ursprung der menschlichen Schöpferkraft musikalisch auszudrücken." Darum studierte er fast nebenbei die Grundlagen des Lebens, wobei ihm nicht nur Neubauer zur Seite stand.

Jedes Atom des DNA-Strangs in Klangarchitektur übersetzt

Dr. Christoph Scharlé, Gründer des Teltower Unternehmens Focus Genomics, das sich auf Chemosensibilitätstests spezialisiert hat, ist als Schwager von Thilo Krigar zugleich dessen engster Berater. "Wir führen regelmäßig Brainstorming durch", sagt der Musiker, der die biomolekularen Abläufe im menschlichen Körper inzwischen ziemlich gut erklären kann.

Die in der DNA verpackten genetischen Informationen, die er als ständige Selbstschöpfung des Menschen bezeichnet, interessieren Krigar als Künstler besonders. Er spannt den Bogen aber noch weiter - bis zur aktuellen Debatte um die Frage, wie weit man in der Gentechnik gehen darf.

Bei der Vertonung der Erbinformation dringt Krigar bis in die kleinste Ebene der Zelle vor, indem er sogar jedes einzelne Atom eines DNA-Strangs in eine Klangarchitektur übersetzt hat, was etwa vier Minuten seines Werkes ausmacht. Für den Rest des Stückes hat er die Zellvorgänge etwas abstrakter vertont, zum Beispiel die Ribosome. "Es bilden sich ständig neue Molekularbindungen, vergleichbar mit Akkorden und Harmonien, die zerfallen und neu entstehen."

Diese molekularen Bindungen übersetzt Krigar in die Intervalle der Musik. Das heißt, er wandelt sie in Töne und Tondauer um, wozu er bestimmte Parameter des Atoms zur Berechnung heran zieht. Wenn dabei ästhetisch uninteressante Klänge - Monotonie oder ein totales Chaos - entstehen, verwirft er seine Arbeitsweise und entwickelt neue passende Modelle. Weil sich das Klangbild stark ändert, je nachdem welche Phase der Zellaktivität beschrieben wird, ist eine musikalische Einordnung der Komposition schwierig. Krigar skizziert sie als "zeitgenössische, moderne, relativ anspruchvolle, aber keine atonale Musik".

Beeindruckend ist die Beharrlichkeit, mit der er seine eigene Vision verfolgt. So finanziert er seinen Lebensunterhalt nicht nur durch Konzerte als Cellist, sondern coacht dank seiner neurolinguistischen Ausbildung nebenbei Unternehmer, Künstler oder Arbeitslose.

Zweimal hat er bereits Ausschnitte von "DNA in Concert" mit seinem Streichquintett Pythagoras Strings aufgeführt, wobei sich vor allem Wissenschaftler sehr interessiert zeigten. Nachdem er sein Projekt in Duisburg vor Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn und Spitzenvertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft präsentiert hatte, lobte ein Top-Forscher: "Das ist endlich mal keine Wissenschaftsfolklore, sondern macht wirklich nachdenklich."

70-Minuten-Opus im 360-Grad-Surround-Sound

Trotzdem war für das Projekt, für das der Hauptstadtkulturfonds Mittel zugesagt hat, jahrelang kein Veranstalter zu gewinnen. Die Uraufführung des 70-Minuten-Opus wird nun am 28. Mai im Berliner transmedialen Kulturzentrum T.E.S.L.A. im Podewilschen Palais stattfinden. Um dem Hörer den Fluß der genetischen Information zu veranschaulichen, sollen über, unter und um das Publikum verortete Lautsprecher eine besondere Klangperspektive erzeugen.

Thilo Krigar will dadurch den Blickwinkel sowohl von Laien als auch von Wissenschaftlern auf die Grundlagen des Lebens verändern. Er glaubt, daß es für einen Mediziner durchaus interessant sein kann, das muntere Treiben in einer Zelle mal als Tonabfolge im 360-Grad-Surround-Sound zu erleben. Wie das Leben werde sich sein Stück kompositorisch immer weiter entwickeln, sagt Krigar. "Von einer Version für Sinfonisches Orchester bis zum multisensorisch interaktiven Cyberdisplay ist alles möglich." Work in Progress, nennt er das. Ein Werk für die Ewigkeit eben.

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