Während er auf Patienten wartet, schreibt Doyle Krimis

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Von Friedrich Hofmann

Der junge Arzt hatte gerade seinen Dienst bei der britischen Indienarmee angetreten und die gefahrvolle Reise nach Kandahar in den zweiten afghanischen Krieg hinter sich gebracht, als ihm von einer Kugel das linke Schlüsselbein zerschmettert wurde.

Daß aus der geplanten Rehabilitation in Indien nichts wurde, war auf den Bauchtyphus ("diesen Fluch unseres Kolonialreichs") zurückzuführen, mit dessen Erreger sich der Jungmediziner infiziert hatte und der ihn schließlich zur Abreise ins heimatliche London zwang.

Aus Geldmangel mußte er sich bei der Suche nach einer Bleibe mit dem Gedanken an eine Wohngemeinschaft anfreunden - und hier trifft er in seinem künftigen Wohnungsgenossen einen begabten Chemiker, der als Mitarbeiter im klinisch-chemischen und pathologischen Labor gerade einen Hämoglobintest entwickelt hat, der die Identifizierung von Blutflecken ermöglicht.

Der Rest ist bekannt; denn bei dem jungen Arzt handelt es sich um niemand anderen als Doktor Watson und bei dem klinischen Chemiker um Sherlock Holmes. Im übrigen: Das Heim der beiden in der Baker Street 221 b in London dient auch heute noch als Sherlock-Holmes-Museum.

"Mein Leben ist an Vielfalt kaum zu übertreffen"

Die meisten werden viele der 60 Watson-Holmes-Romane und -Geschichten kennen, doch die wenigsten kennen wohl deren heute vor 75 Jahre gestorbenen Erfinder Arthur Conan Doyle: Daß in seinen Büchern so detailliert über medizinische Fragen diskutiert und das Praxis- und Krankenhaus-Ambiente stets naturgetreu abgebildet werden, liegt daran, daß der 1859 in Edinburgh geborene Autor denselben Beruf ausgeübt hat wie sein alter ego Watson.

In seinen Memoiren schreibt Doyle, daß er ein Leben gelebt habe, das in seiner Vielfalt kaum zu übertreffen sei: "Ich habe gelernt, was es bedeutet, arm zu sein, und ich habe erfahren was Reichtum bedeutet. Ich habe jegliche denkbare menschliche Erfahrung gemacht, und ich habe viele der bemerkenswerten Männer meiner Zeit kennengelernt..."

In der Tat: Das Leben des Autors, der nicht nur in Schottland, sondern auch in Österreich zur Schule gegangen war, war schon zu Studentenzeiten abenteuerlich: Noch ist das Studium nicht beendet, als ein Freund, der auf dem Walfangschiff "Hope" als Schiffsarzt angeheuert hat, plötzlich ausfällt und binnen Stunden ein Ersatz her muß. Doyle entschließt sich spontan, an der Reise teilzunehmen, und so dampft er schon bald mit der fünfzigköpfigen Besatzung in die Arktis.

Später notiert er: "Das immerwährende Licht, der Glanz des weißen Eises, die tiefe Bläue des Wassers - dies sind Dinge, an die man sich in aller Klarheit erinnert..." Und er fährt fort: "Ich habe keinen Zweifel daran, daß mein lebenslanger guter Gesundheitszustand etwas mit der wunderbaren Luft zu tun hatte und daß der unerschöpfliche Speicher, aus dem ich Zeit meines Lebens meine Energie schöpfen konnte, zu einem guten Teil Folge dieser Reise gewesen sind..."

Wann immer Doyle auf dieser Reise Zeit findet, schreibt er - und so ist es kein Wunder, daß der ersten, Ende 1879 erschienen Geschichte "The Mystery of Sarassa Valley" bald weitere folgen. Ertragreich ist auch die zweite Reise nach der Promotion, die Doyle 1881/82 als Schiffsarzt auf der SS Mayumba nach West- und Zentralafrika führt.

Und schließlich kann er aus seinen Erfahrungen in der Praxis des exzentrischen Dr. George Turnavine Budd in Plymouth und in seiner eigenen in Portsmouth schöpfen. Wann immer das Wartezimmer leer ist (und es bleibt leider oft leer), schreibt der junge Arzt an seinem ersten Holmes-Roman, der 1887 unter dem Titel "A Study in Scarlet" ("Studie in Scharlachrot") herauskommt. Recht schnell - und erst recht, nachdem mit "Das Zeichen der Vier" ein weiterer Roman vorliegt - wird man auf Doyle aufmerksam.

Doyle besucht Robert Koch in Berlin

Besonders Oscar Wilde erkennt das Talent des jungen Familienvaters, der 1890 unweit des Britischen Museums eine neue Praxis eröffnet hat. Noch am Umzugstag beginnt er mit dem Roman "A Scandal in Bohemia", und bald hat er, weil auch hier die Patienten ausbleiben, drei weitere Kurzgeschichten verfaßt. Der nun einsetzende Erfolg macht ihm die Entscheidung leicht, medizinische Karriereträume - er hatte gelegentlich sogar im "Lancet" publiziert - zu begraben und sich ganz dem Schreiben zu widmen.

Daß ihn die Medizin auf der anderen Seite nie ganz losläßt, wird nicht zuletzt an den Reiseaktivitäten der nächsten Jahre deutlich: Als etwa Robert Koch eine neue Tuberkulose-Therapie ankündigt, reist Conan Doyle nach Berlin. Auch in seinen Büchern finden sich viele medizinische und laborchemische Bezüge.

Neben seinem Schreiben kümmert sich Doyle auch um politische Fragen und greift immer wieder energisch in die Debatte um eine Reform des Scheidungsrechts ein. Außer Holmes/Watson-Büchern erscheinen auch historische Romane und sogar ein Operettenlibretto. Auch das neue Medium "Film" nimmt sich mit einer 56teiligen Serie des Detektivgespanns Holmes-Watson an.

Auf dem Höhepunkt seines Ruhms erleidet Doyle einen Herzinfarkt, und stirbt nach kurzem Leiden am 7. Juli 1930. Watson und Holmes jedoch haben ihn bis heute überlebt - und werden es sicher noch viele Jahre tun; denn ein Ende ihres Bücherbooms ist zumindest vorläufig nicht abzusehen.

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