Ärzte Zeitung, 25.05.2010
Zahnwurzeln als historische Fundgrube
Ein Göttinger Wissenschaftler gewinnt mit
modernen DNA-Analysen neue Erkenntnisse über den
rätselhaften Untergang der Nasca-Kultur in Peru.
Von Heidi Niemann

Auf
der Suche nach der Geschichte eines untergegangenen Volkes:
der Göttinger Anthropologe Lars Fehren-Schmitz. ©
Rink/pid
GÖTTINGEN. Gigantische
geometrische Zeichnungen im Wüstensand, riesige
Tierdarstellungen an Felswänden - die Geoglyphen in
Südperu gehören zu den faszinierendsten
Hinterlassenschaften der frühen Bewohner Südamerikas.
Seit 1994 gelten die teilweise nur aus der Luft erkennbaren
kilometerlangen Linien als Weltkulturerbe. Über ihre Urheber,
die Angehörigen der prähistorischen Nasca-Kultur, ist
allerdings immer noch wenig bekannt.
Der Göttinger Anthropologe und Archäologe
Dr. Lars Fehren-Schmitz hat jetzt mit DNA-Analysen Erkenntnisse
über die Entwicklung und den Untergang des Nasca-Volkes
gewonnen - vor allem aus den Zahnwurzeln von rund 2000 Jahre alten
Mumien.
Die Nasca-Kultur hatte sich zwischen 200 vor und 600 nach
Christus entwickelt, sie gilt als erste frühstaatliche Kultur
des südlichen Peru. Fehren-Schmitz hat DNA-Material von rund
360 Mumien extrahiert, die an verschiedenen Siedlungs- und
Bestattungsplätzen im Palpa-Tal und dem angrenzenden Hochland
gefunden wurden. Dort, im Randbereich der Anden und der
Atacama-Wüste, herrscht ein sehr trockenes Klima, bei dem
viele Leichname mumifiziert sind. Vor allem in Zahnwurzeln lassen sich
noch DNA-Fragmente finden, die Aufschluss über die damalige
Bevölkerung geben können.

2000
Jahre alt ist dieser Schädel aus Peru: Eine DNA-Analyse ergab,
dass der Tote Syphilis im Endstadium hatte. © Fehren-Schmitz
Die Göttinger Anthropologen gehören zu den
weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der DNA-Analyse von
uraltem Skelett- und Gewebematerial. Diese Studien bilden die
größte paläogenetische Datensammlung
für ganz Südamerika. "Da das untersuchte Material aus
einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren stammt, lässt sich
anhand dieser Daten der Bevölkerungswandel in diesem
Siedlungsraum rekonstruieren", erklärt der Anthropologe.
Eine der zentralen Fragen war dabei, ob und wie die einst
blühende Nasca-Kultur von den Waris verdrängt wurde.
Die damaligen Hochlandbewohner aus den Anden gelten als
Vorläufer der Inkas. In den ersten Jahrhunderten sei eine
klare populationsgenetische Trennung zwischen der Nasca-Kultur und den
Bewohnern des Hochlandes festzustellen. Aufgrund einer langen
Trockenzeit mussten die Nascas jedoch später ihre
Siedlungsplätze aufgeben und ins Hochland ziehen. Nach dem
Ende der etwa 400 Jahre langen Dürreperiode wurde das Tal
wieder besiedelt. Die neuen Bewohner hatten indes eine andere
Abstammung als die ursprünglichen Siedler, ihre genetischen
Merkmale entsprachen denen der Hochland-Population.
"Die Zuwanderung aus den Anden hat die vorherigen genetischen
Strukturen überdeckt", sagt Fehren-Schmitz. Dies sei
vermutlich darauf zurückzuführen, dass die
Küstenbewohner nicht an die extremen Bedingungen im Hochland
angepasst gewesen seien. Dies habe sich auch auf ihre Geburtenrate
ausgewirkt. Der Untergang der Nascas sei damit nicht auf Krieg und
Vertreibung zurückzuführen, sondern habe
ökologische Ursachen gehabt.
Die genetischen Analysen geben auch neue Hinweise auf die
Besiedlungsgeschichte des gesamten Kontinents. Bekannt ist, dass es bei
der Kolonisierung Südamerikas mehrere Hauptrouten gab. Eine
von ihnen verlief entlang der Westküste, wo sich
später die Nasca-Kultur herausbildete, eine andere
über das Amazonasbecken und von dort weiter in die Anden, wo
später Inkas herrschten.
Fehren-Schmitz hat nicht nur die DNA-Merkmale der
prähistorischen Bewohner untersucht, sondern sie auch mit
aktuellen Datenbanken verglichen. Dabei zeigte sich, dass sich die
Nascas genetisch deutlich von der heutigen indigenen
Bevölkerung in Peru unterscheiden. Es gibt jedoch
Ähnlichkeiten mit Bewohnern in Mittel- und Südchile.
Dies hänge mit der Ausdehnung des Inka-Reiches zusammen,
vermutet der Göttinger Forscher. Jenseits der
Südgrenze des Herrschaftsgebietes der Inkas habe es offenbar
eine Population gegeben, die ebenso wie die Nascas von den ersten
Westküstensiedlern abstammte.

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