Zahnwurzeln als historische Fundgrube

Ein Göttinger Wissenschaftler gewinnt mit modernen DNA-Analysen neue Erkenntnisse über den rätselhaften Untergang der Nasca-Kultur in Peru.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Auf der Suche nach der Geschichte eines untergegangenen Volkes: der Göttinger Anthropologe Lars Fehren-Schmitz. © Rink/pid

Auf der Suche nach der Geschichte eines untergegangenen Volkes: der Göttinger Anthropologe Lars Fehren-Schmitz. © Rink/pid

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GÖTTINGEN. Gigantische geometrische Zeichnungen im Wüstensand, riesige Tierdarstellungen an Felswänden - die Geoglyphen in Südperu gehören zu den faszinierendsten Hinterlassenschaften der frühen Bewohner Südamerikas. Seit 1994 gelten die teilweise nur aus der Luft erkennbaren kilometerlangen Linien als Weltkulturerbe. Über ihre Urheber, die Angehörigen der prähistorischen Nasca-Kultur, ist allerdings immer noch wenig bekannt.

Der Göttinger Anthropologe und Archäologe Dr. Lars Fehren-Schmitz hat jetzt mit DNA-Analysen Erkenntnisse über die Entwicklung und den Untergang des Nasca-Volkes gewonnen - vor allem aus den Zahnwurzeln von rund 2000 Jahre alten Mumien.

Die Nasca-Kultur hatte sich zwischen 200 vor und 600 nach Christus entwickelt, sie gilt als erste frühstaatliche Kultur des südlichen Peru. Fehren-Schmitz hat DNA-Material von rund 360 Mumien extrahiert, die an verschiedenen Siedlungs- und Bestattungsplätzen im Palpa-Tal und dem angrenzenden Hochland gefunden wurden. Dort, im Randbereich der Anden und der Atacama-Wüste, herrscht ein sehr trockenes Klima, bei dem viele Leichname mumifiziert sind. Vor allem in Zahnwurzeln lassen sich noch DNA-Fragmente finden, die Aufschluss über die damalige Bevölkerung geben können.

2000 Jahre alt ist dieser Schädel aus Peru: Eine DNA-Analyse ergab, dass der Tote Syphilis im Endstadium hatte. © Fehren-Schmitz

2000 Jahre alt ist dieser Schädel aus Peru: Eine DNA-Analyse ergab, dass der Tote Syphilis im Endstadium hatte. © Fehren-Schmitz

© Fehren-Schmitz

Die Göttinger Anthropologen gehören zu den weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der DNA-Analyse von uraltem Skelett- und Gewebematerial. Diese Studien bilden die größte paläogenetische Datensammlung für ganz Südamerika. "Da das untersuchte Material aus einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren stammt, lässt sich anhand dieser Daten der Bevölkerungswandel in diesem Siedlungsraum rekonstruieren", erklärt der Anthropologe.

Eine der zentralen Fragen war dabei, ob und wie die einst blühende Nasca-Kultur von den Waris verdrängt wurde. Die damaligen Hochlandbewohner aus den Anden gelten als Vorläufer der Inkas. In den ersten Jahrhunderten sei eine klare populationsgenetische Trennung zwischen der Nasca-Kultur und den Bewohnern des Hochlandes festzustellen. Aufgrund einer langen Trockenzeit mussten die Nascas jedoch später ihre Siedlungsplätze aufgeben und ins Hochland ziehen. Nach dem Ende der etwa 400 Jahre langen Dürreperiode wurde das Tal wieder besiedelt. Die neuen Bewohner hatten indes eine andere Abstammung als die ursprünglichen Siedler, ihre genetischen Merkmale entsprachen denen der Hochland-Population.

"Die Zuwanderung aus den Anden hat die vorherigen genetischen Strukturen überdeckt", sagt Fehren-Schmitz. Dies sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Küstenbewohner nicht an die extremen Bedingungen im Hochland angepasst gewesen seien. Dies habe sich auch auf ihre Geburtenrate ausgewirkt. Der Untergang der Nascas sei damit nicht auf Krieg und Vertreibung zurückzuführen, sondern habe ökologische Ursachen gehabt.

Die genetischen Analysen geben auch neue Hinweise auf die Besiedlungsgeschichte des gesamten Kontinents. Bekannt ist, dass es bei der Kolonisierung Südamerikas mehrere Hauptrouten gab. Eine von ihnen verlief entlang der Westküste, wo sich später die Nasca-Kultur herausbildete, eine andere über das Amazonasbecken und von dort weiter in die Anden, wo später Inkas herrschten.

Fehren-Schmitz hat nicht nur die DNA-Merkmale der prähistorischen Bewohner untersucht, sondern sie auch mit aktuellen Datenbanken verglichen. Dabei zeigte sich, dass sich die Nascas genetisch deutlich von der heutigen indigenen Bevölkerung in Peru unterscheiden. Es gibt jedoch Ähnlichkeiten mit Bewohnern in Mittel- und Südchile. Dies hänge mit der Ausdehnung des Inka-Reiches zusammen, vermutet der Göttinger Forscher. Jenseits der Südgrenze des Herrschaftsgebietes der Inkas habe es offenbar eine Population gegeben, die ebenso wie die Nascas von den ersten Westküstensiedlern abstammte.

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