Kamelle - nein danke! Schokoladen-Tafeln - ja bitte!

Grapschen, was das Zeug hält: Je dicker die Taschen nach dem Umzug sind, desto besser. Doch die Ansprüche an das "Wurfmaterial" sind gewachsen.

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Kamelle oder Schokolade? Wer am lautesten schreit, wird am ehesten bedacht.

Kamelle oder Schokolade? Wer am lautesten schreit, wird am ehesten bedacht.

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KÖLN/DÜSSELDORF (dpa). Wenn bei den Karnevalszügen die "Kamelle" fliegen, werden viele Jecken zu Strategen. Vorne gibt's oft "Strüßje", also Blümchen, dagegen kommen Schokoriegel eher in den hinteren Reihen an. Manch einer benutzt Schirm oder Mütze, um möglichst viel zu ergattern. Tonnenweise Süßigkeiten werfen die Karnevalisten alljährlich unters Volk. Und die Ansprüche der Zuschauer sind hoch: Bei den großen Zügen in den rheinischen Hochburgen bückt sich kaum noch jemand für normale Bonbons, also die eigentlichen "Kamelle".

"Früher hatten wir ungefähr 90 Prozent Bonbons - heute sind es vielleicht noch 30 bis 40 Prozent", sagt der Sprecher des Comitee Düsseldorfer Carneval, Hans-Peter Suchand. Gerne geworfen werden nun Schokoriegel, Schokoladentafeln, Gummibärchen, Mäusespeck oder Puffreis. Aber auch Bälle, Stofftierchen und Papiertaschentücher sind dabei.

"Vor allem die Fußgruppen gehen nach Gewicht und bevorzugen leichte Sachen, die sie gut tragen können", weiß Angelika Broicher vom gleichnamigen Süßwarengroßhandel in Hürth bei Köln. "Erlaubt ist alles, was gut fliegt und kein Loch im Kopf verursacht", sagt Sigrid Krebs, Sprecherin des Festkomitees Kölner Karneval. Scharfkantige Sachen sind wegen der Verletzungsgefahr verboten.

 Pralinenschachteln müssen direkt überreicht oder gezielt zu jemandem geworfen werden, mit dem vorher Augenkontakt aufgenommen wurde. Und auch Teile, auf denen man ausrutschen könnte - etwa Creme-Tuben - sind in den Hochburgen tabu.

Für die Zuschauer gilt: Wer am lautesten schreit, wird am besten bedacht. "Wenn irgendwo eine Gruppe steht und laut ruft, guckt man als Zugteilnehmer oft automatisch rüber und wirft dort gerne was hin", sagt Krebs. Am meisten einsammeln können die Zuschauer auf Tribünenplätzen, wenn die vorbeirollenden Wagen per Mikrofon begrüßt werden. Pech für die Narren, die gegenüber von solchen Logenplätzen stehen.

Schon im Herbst bestellen die Karnevalsgesellschaften das sogenannte Wurfmaterial beim Großhandel. "Es werden eigentlich nur bekannte Markenartikel gekauft - denn wenn es den Zuschauern nicht schmeckt, dann merken die sich das", meint Suchand.

In Düsseldorf muss jeder Karnevalist, der auf einem Wagen mitfährt, mindestens 500 Euro hinlegen - dabei sind die Süßwaren enthalten. Etwa 250 000 Euro, so schätzt Suchand, werden dort jährlich für insgesamt 60 Tonnen Wurfmaterial ausgegeben.

In Köln fliegen am Rosenmontag sogar 150 Tonnen Süßigkeiten. Hier gibt es ein kompliziertes Bon-System. Jeder Zugteilnehmer entscheidet vorher selbst, wie viele Süßigkeiten in welchem Wert er werfen möchte und bezahlt dafür. So mancher gibt dem Vernehmen nach mehr als 1000 Euro aus. Dafür erhält er entsprechend viele Bons, die er unterwegs bei einem "Bagagewagen" einlösen kann, der das Wurfgut transportiert.

Die großen Karnevalsgesellschaften in der Domstadt verleihen ihren Süßigkeiten gerne noch eine persönliche Note: Sie lassen die Packungen extra mit den Vereinsfarben und -namen bedrucken. "Oft kommt noch das Motto mit drauf und manchmal auch Fotos", erklärt der Süßwaren-Lieferant Dieter Schwadorf aus Alfter bei Bonn, der sich darauf spezialisiert hat.

In einer eigenen Druckerei fertigt er die Etiketten und Banderolen an. Allein über eine Million Waffeln werden in dem Familienbetrieb jedes Jahr zu Karneval von Hand etikettiert. "In den Wochen vor Karneval ist bei uns Hochsaison, da geht ins Lager nichts mehr rein."

Doch egal ob Schokolade oder Gummibärchen: Ein Teil der Leckereien geht am Ende verloren. Etwa 80 Prozent der geworfenen Dinge würden tatsächlich gefangen, schätzt Suchand. Der Rest bleibt liegen und wird von Zuschauer- oder Pferdefüßen platt getrampelt.

 Und wie viele der mühsam ergatterten Süßigkeiten zwar stolz nach Hause getragen, aber dann nicht gegessen werden, weiß niemand. Sicher ist: Einige Narren haben am Rosenmontag noch die Kamelle vom letzten Karneval im Schrank.

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