Thomas Hitzlsperger

Erstes Coming-out eines Profifußballers

Als erster deutscher Fußballstar hat sich Thomas Hitzlsperger zu seiner Homosexualität offen bekannt. Er will für mehr Toleranz werben - die allerdings noch in einigen Lebensbereichen in der Gesellschaft fehlt.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Thomas Hitzlsperger (M.) wurde 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister.

Thomas Hitzlsperger (M.) wurde 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister.

© Sven Simon / dpa

FRANKFURT/MAIN. Das Echo auf das Coming-out des ehemaligen Fußball-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger ist gewaltig.

Die Bundesregierung lobte den Gang an die Öffentlichkeit, der britische Premier David Cameron schrieb, dass er Hitzlsperger (der zuletzt in England gespielt hat) jetzt noch mehr bewundere als ohnehin, und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag Katrin Göring-Eckardt bedankte sich sogar bei dem Sportler für seinen Mut.

"Tatsächlich ist Thomas Hitzlspergers Coming-out ein historischer Schritt im deutschen Sport", sagt Jörg Litwinschuh, Geschäftsführender Vorstand der vor gut zwei Jahren gegründeten Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die mit Aufklärungsprojekten der Diskriminierung Homosexueller entgegenwirkt.

"Erstmals wird Homosexualität im Profifußball sichtbar. Darauf haben viele Menschen gewartet. Thomas Hitzlspergers Beispiel zeigt, was eigentlich selbstverständlich ist: dass auch homosexuelle Fußballer äußerst erfolgreich sein können."

Diskussion voranbringen

Der 31-jährige Hitzlsperger hat seine Karriere beim englischen Verein Aston Villa begonnen. Mit dem VfB Stuttgart wurde er 2007 Deutscher Meister, mit der Nationalmannschaft ein Jahr später Vize-Europameister.

Beide Teams führte er als Kapitän an. Während seiner aktiven Karriere, die er vor wenigen Monaten beendete, galt er als Vorbild und auch als Publikumsliebling.

"Ich möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen", sagt Hitzlsperger in der "Zeit" und fügt an, dass er den Zeitpunkt seines Coming-outs bewusst gewählt habe.

"Die Olympischen Spiele von Sotschi stehen bevor, und ich denke, es braucht kritische Stimmen gegen die Kampagnen mehrerer Regierungen gegen Homosexuelle."

Unter anderem spielt er damit auf ein russisches Gesetz an, das die öffentliche "Propaganda" von Homosexualität verbietet.

Angst vor Diffamierung der Fans und Reaktionen der Mitspieler

Wie weit Homophobie im Sport oder in der Gesellschaft verbreitet ist, darüber gebe es hierzulande schlichtweg keine Studien, sagt Jörg Litwinschuh.

"Wir wissen noch nicht einmal, ob die Fans in den Stadien überhaupt auf schwule Fußballer reagieren würden, oder ob diese Befürchtung einem Vorurteil entspringt und unsere Gesellschaft längst weiter ist."

In der Vergangenheit hatten immer wieder prominente Funktionäre wie Reinhard Rauball, Präsident des Ligaverbandes, oder Ex-Fußballer wie Günter Netzer und Lothar Matthäus gewarnt, für einen aktiven Fußball-Profi könne ein Coming-out große Nachteile haben.

"Ich kann verstehen, dass es in dieser Hinsicht Ängste gibt", sagt Litwinschuh. "Angst vor den Reaktionen der Mitspieler, Angst vor Diffamierungen der Fans, Angst davor, vielleicht nicht mehr aufgestellt zu werden oder Sponsoren zu verlieren."

Dennoch rate er schwulen und lesbischen Sportlern zu einem offenen Umgang mit ihrer Homosexualität. Er glaubt, dass die Coming-outs im Fußball die Emanzipation von Schwulen und Lesben stärker beeinflussen werden als öffentliche Erklärungen von Politikern oder Künstlern.

Forschungsprojekt zur Homophobie

Litwinschuh, der sich seit 20 Jahren in der Schwulen- und Lesbenbewegung engagiert, hat 2010 das Experten-Netzwerk "Fußball gegen Homophobie" gegründet und zwei Jahre später an die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld übertragen.

Die Stiftung ist Initiatorin der "Berliner Erklärung vom 17. Juli 2013. Gemeinsam gegen Homophobie, für Vielfalt, Respekt und Akzeptanz im Sport", zu deren Unterzeichnern unter anderem der Deutsche Olympische Sportbund, der DFB und die Fußballliga zählen.

Darüber hinaus entwickelt die Stiftung mit der Universität Vechta das Bildungs- und Forschungsprojekt "Fußball für Vielfalt - Fußball gegen Homophobie".

"Jede Generation muss den Wert der Vielfalt neu erlernen", sagt Jörg Litwinschuh und verweist auf erfolgreiche Projekte in Skandinavien, in denen schon Kindergartenkinder lernen, dass Männer nicht nur Frauen, sondern auch Männer lieben können.

In der Schule könne man die Homosexualität außer im Biologie-Unterricht auch im Fach Geschichte zur Sprache bringen. Schließlich, so Litwinschuh, müsse man das Thema auch ins Altersheim tragen, wo inzwischen jene, die Zeit ihres Lebens offen mit ihrer sexuellen Identität umgegangen sind, auf die treffen, für die Homosexualität ein großes Tabu darstellt.

"Hier gibt es eine massive Diskriminierung von Schwulen und Lesben."

Das Forschungsprojekt "Fußball für Vielfalt-Fußball gegen Homophobie" im Internet unter www.fussball-fuer-vielfalt.de

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