Syrien

Verzicht auf Asyl, um Anderen zu helfen

In Deutschland hielt den syrischen Psychiater Jalal Nofal nichts. Er wollte in der Türkei seinen Leuten helfen. Nun arbeitet er in einem von der EU mitfinanzierten Projekt. Dafür verzichtete er sogar auf sein politisches Asyl.

Von Mirjam Schmitt Veröffentlicht:
Psychiater Jalal Nofal steht in Gaziantep vor dem Gesundheitszentrum. Er hatte politisches Asyl in Deutschland, kehrte jedoch in die Türkei zurück.

Psychiater Jalal Nofal steht in Gaziantep vor dem Gesundheitszentrum. Er hatte politisches Asyl in Deutschland, kehrte jedoch in die Türkei zurück.

© Schmitt/dpa

GAZIANTEP. Der syrische Psychiater Jalal Nofal hätte ein ruhiges Leben in Deutschland haben können. Weit weg vom Krieg in Syrien und von der Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, von dem er nach eigenen Angaben verfolgt wurde. Viermal landete er deswegen im Gefängnis, wie er erzählt. 2015 floh er und bekam politisches Asyl. Doch in Deutschland hielt ihn nichts.

Er lächelt, wenn er heute an das kleine Dorf in der Nähe von Bielefeld denkt, in dem er mit seiner Frau lebte. "In Deutschland zu sein, das war für mich eine Art Stagnation. Das Land hat mein Potenzial nicht genutzt." Er wollte in die Türkei und seinen Leuten helfen.

Seit mehr als einem Jahr arbeitet Nofal nun in dem Zentrum für mentale Gesundheit in der südtürkischen Stadt Gaziantep nahe der syrischen Grenze. Die Hilfsorganisation Relief International organisiert das Projekt. Das Geld dafür kommt aus dem Topf der drei Milliarden Euro, die im Rahmen des im März 2016 vereinbarten Flüchtlingspakts von der EU an die Türkei gehen. Drei weitere Milliarden sollen folgen.

Auf Krisensituationen spezialisiert

Das Geld ist unter anderem Gegenleistung dafür, dass die Türkei Flüchtlinge von der EU fernhält: Jeder Syrer, der illegal auf den griechischen Inseln ankommt und kein Asyl erhält, soll in die Türkei zurückgeschickt werden. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf ein anderer Syrer legal in die EU einreisen.

Nofals Büro ist spärlich eingerichtet: Ein Schreibtisch, ein Schrank, eine kleine Sitzecke. Der kleine Mann mit den zurückgebürsteten grauen Haaren war ein bekannter Psychiater und Aktivist in Damaskus. Er ist auf Trauma und Krisensituationen spezialisiert.

In der Türkei sind nach offiziellen Angaben mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge registriert. Von den zwei Millionen Einwohnern in Gaziantep sind nach Schätzungen alleine 300 000 Syrer. Sie hätten "großen Bedarf" an psychiatrischer Unterstützung, sagt Nofal. Laut einer Studie des schwedischen Roten Kreuzes von Ende 2016 leidet einer von drei syrischen Flüchtlingen unter psychischen Problemen wie Depression, Angststörung und posttraumatischem Stresssymptom.

Eine Feststellung, die Nofal bestätigen kann. Die meisten seiner Patienten litten unter Traumata und Depressionen. Letzteres vor allem wegen der schweren Lebensbedingungen in der Türkei und der Zukunftsangst. Manche arbeiteten 14 oder 15 Stunden am Tag, viele davon schwarz.

Daher sei es auch wichtig, dass zur Behandlung Landsleute wie er eingesetzt werden. Der Meinung ist auch Psychologin Rouba Droish. Die 29-jährige Syrerin arbeitet in einem Projekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Gaziantep, ebenfalls mitfinanziert von der EU. "Weil ich Syrerin bin, kann ich verstehen, was die Leute durchgemacht haben." In dem Gesundheitszentrum, in dem Droish arbeitet, werden Syrer nicht nur behandelt, sondern Ärzte wie sie auch weitergebildet, um sie in das türkische Gesundheitssystem zu integrieren.

Auf dem Gang drängen sich Männer und Frauen mit Kindern auf dem Arm. Die Wände wirken frisch gestrichen, die Ausstattung modern. 33 Syrer und drei Türken arbeiten hier als Ärzte oder Krankenschwestern. Vom Husten bis zur Psychotherapie – für alle Beschwerden ist ein Arzt da. Das Gesundheitszentrum ist ausschließlich eine Anlaufstelle für Syrer. Bevor es dieses Angebot gab, mussten sie zur Behandlung in ein türkisches Krankenhaus gehen.

Die verantwortliche Krankenschwester Elif Gül sagt: "Es war eine große Last für das türkische Gesundheitssystem. Durch die syrischen Ärzte wird das nun entlastet. Und früher gab es auch Übersetzungsprobleme, die wir jetzt nicht mehr haben."

Das Europäische Amt für humanitäre Hilfe (Echo) entscheidet unter anderem, was mit dem EU-Geld aus dem Flüchtlingspakt passiert und investiert es in Projekte wie das von Relief International oder der WHO. Jane Lewis, Echo-Leiterin in der Türkei, bezeichnet beide Projekte als "Win-win-Situation", weil syrische Flüchtlinge dort einerseits versorgt und teilweise in den Arbeitsmarkt integriert werden. Die Beziehungen zur türkischen Regierung beschreibt sie als von "Anfang an sehr gut".

Das Geld von der EU scheint in der Türkei für Verbesserungen für Flüchtlinge zu sorgen, doch es gibt auch noch viele Probleme. Nofal und Droish haben Glück und können arbeiten, doch Arbeitsgenehmigungen sind schwer zu erhalten, wie auch Lewis einräumt. Flüchtlinge klagen zudem über eine schleppende Registrierung bei Neugeborenen. Und nicht jede Nichtregierungsorganisation (NGO) kann von guten Beziehungen zur türkischen Regierung berichten.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat zahlreiche NGO per Notstandsdekret schließen lassen. Darunter solche, die sich um Syrer kümmern. Der US-NGO Mercy Corps etwa wurde im März die Registrierung entzogen, sie musste sich aus der Türkei zurückziehen.

Ungewissheit plagt die Flüchtlinge

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert außerdem schon seit Jahren, dass die Türkei den Syrern keinen Flüchtlingsstatus zuerkennt. Sie haben lediglich den Status des "vorübergehenden Schutzes", der genau das ist, aber keine Rechtssicherheit bietet. Amnesty wirft der türkischen Regierung zudem Abschiebungen von Syrern zurück ins Bürgerkriegsland und in den Irak und Afghanistan vor.

Psychiater Nofal fordert deswegen einen klaren Status für Flüchtlinge wie ihn: "Es ist Aufgabe der türkischen Regierung zu sagen: Ihr seid Flüchtlinge und ihr habt die Rechte von Flüchtlingen." Stattdessen behandele man sie wie Gäste. Er befürchtet sogar, dass die Türkei die Syrer bald wieder zurückschicken könnte. Trotzdem will er nicht wieder nach Deutschland zurück. Und auch Psychologin Droish will erst einmal in Gaziantep bleiben. "Ich denke, für mich ist es besser, wenn ich nach Deutschland gehe. Aber wenn ich hierbleibe, ist es besser für die Syrer." (dpa)

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen