Medizinhistorisches Museum der Charité

Tot oder nicht tot – das ist hier die Frage

Särge mit Ausgängen und Glöckchen um die Arme: Schon seit Jahrhunderten ziehen Wissenschaftler die Eindeutigkeit des Todes in Zweifel. Eine neue Ausstellung in Berlin zeigt Exponate, die dem Scheintod ein Schnippchen schlagen sollten.

Von Gisela Gross Veröffentlicht:
Eine junge Frau betrachtet Exponate für Experimente im Zusammenhang mit Elektrizität in der Ausstellung „Scheintot“ im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité.

Eine junge Frau betrachtet Exponate für Experimente im Zusammenhang mit Elektrizität in der Ausstellung „Scheintot“ im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité.

© dpa

BERLIN. Schneewittchen ist so ein Fall: Im Märchen der Brüder Grimm verübt die böse Stiefmutter Anschläge auf das Mädchen, woraufhin dieses in einen Zustand zwischen Leben und Tod fällt. In einer Überlieferung sorgt dann ein fallengelassener Sarg für das Ausspucken des giftigen Apfelstückchens aus ihrem Hals und ihre Rückkehr zu den Lebenden.

Die Geschichte spiegelt eine intensive Debatte der Entstehungszeit wider: den Scheintod. In der Bevölkerung wuchs damals die Angst, lebendig begraben zu werden. Und es entstanden teils skurrile Ideen zum Schutz vor dieser Notlage, wie eine gerade eröffnete Ausstellung in Berlin zeigt.

Erst durch Bestattung gestorben

Charité-Museum

Das Medizinhistorische Museum der Charité hat die Sonderschau konzipiert – der Titel: "Scheintot. Über die Ungewissheit des Todes und die Angst, lebendig begraben zu werden".

Wie Museumsdirektor Professor Thomas Schnalke schildert, nahm die Debatte um den Scheintod über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren ihren Lauf, nachdem ein französischer Arzt im Jahr 1742 ein Buch über die Ungewissheit der Todes-Kennzeichen veröffentlichte. Sein Text enthielt Geschichten Scheintoter, die erst durch die irrtümliche Bestattung tatsächlich gestorben sein sollen. Das Buch sorgte europaweit für Diskussionen.

Auswege aus dem Sarg

Die Folgen des Buches zeichnet die weitgehend düster inszenierte Ausstellung nach: Leichenhäuser entstanden, in denen mutmaßlich Tote aufgebahrt wurden, um auf untrügliche Anzeichen des Todes zu warten. Im Fall eines wieder zum Leben erwachenden Menschen wäre durch an Händen und Füßen angebrachte Schnüre Alarm beim Wächter ausgelöst worden.

Tüftler konstruierten verschiedene Rettungssärge, damit versehentlich Bestattete unter der Erde auf sich aufmerksam machen können. Auch für Luftzufuhr im Sarg wäre gesorgt gewesen – realisiert wurden diese Apparate laut Schnalke nie.

Durchaus zum Einsatz kam hingegen ein Arsenal an Instrumenten, das im Museum aufgereiht ist. Eine Frage war, wie sich Scheintote ins Leben zurückholen lassen. Man habe Klistiere gesetzt, geschröpft, zur Ader gelassen, ins Ohr trompetet und sogar Schädelbohrungen gewagt, zählt Schnalke auf.

Auch wollten damalige Forscher wissen, ob sich der Lebensfunke mit Elektrizität anfachen lässt: Sie legten zum Beispiel einem Erhängten Strom an. Ohne Erfolg.

Im Kern sei die Debatte um den Scheintod von Unsicherheit und Angst befeuert worden, erläuterte Schnalke. Manche Menschen baten für den Fall ihres – mutmaßlichen – Todes um einen Stich ins Herz, um letzte Zweifel vor der Bestattung auszuräumen. Dafür gab es sogar ein leicht gebogenes Spezialmesser.

Dabei sind aus Leichenhäusern keine dokumentierten Fälle von Scheintoten bekannt, wie Schnalke sagt. Andere Fälle vermeintlicher Wiederbelebung erklärten sich aus heutiger Sicht damit, dass die Menschen wohl nicht ganz tot waren, beispielsweise nachdem sie gehängt worden waren.

Und heute? Ärzte können den Tod ziemlich genau festzustellen, wie Schnalke sagte – trotzdem bleibe das Thema für die Menschen sehr emotional. Für Beruhigung sorgt da vielleicht ein weiteres Exponat der Ausstellung: eine Klappe von heutigen Kühlzellen für Leichen. Sie lässt sich mit einem mit "Exit" beschrifteten Hebel von innen öffnen. Sicher ist sicher. (dpa)

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