Gaming ist als Erkrankung noch nicht anerkannt

Die Ärztekammer Baden-Württemberg hat erstmals ein eigenes Symposium der neuen Sucht "Gaming" gewidmet. Anstoß gab der Amoklauf eines "Gamers" im März 2009 in Winnenden.

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STUTTGART (rhv). "Die Nachfrage nach Therapie ist vorhanden, aber es fehlen die Ressourcen", sagte Dr. Peter Peukert beim Symposium "Macht das Internet unsere Kinder krank" in Stuttgart. Der Kinderpsychiater beklagt das Fehlen einer DRG, mit der sich die Diagnose und Therapie von Spielsüchtigen abbilden und mit den Krankenkassen abrechnen lässt.

Peukert betreibt in Tübingen eine Ambulanz für Internet- und Computersucht an der Universitätsklinik. "Was die Sache erschwert", so der Sucht-Mediziner, "ist, dass die Patienten sich häufig gar nicht vorstellen. Wir sehen in der Praxis oft die Angehörigen." Fehlender Leidensdruck bei den zwölf bis 18 Jahre alten männlichen Jugendlichen verhindert oft eine Therapie. Zur Spielsucht kommt häufig das Schulschwänzen hinzu. Spätestens, wenn der vorzeitige Abgang von der Schule droht, suchen viele Eltern einen Kinder- und Jugendpsychiater auf.

Der Suchtausschuss der Ärztekammer wollte mit der Tagung zu diesem Thema "einen Akzent setzen", sagte Ausschussleiter Dr. Christoph Schoultz von Ascheraden. Im März 2009 starben in Winnenden beim Amoklauf eines 17-Jährigen insgesamt 16 Menschen. Der Täter war "Gamer". Doch "Gaming" als eigenes Erkrankungsbild wird bislang nicht anerkannt, das gilt auch für den Gemeinsamen Bundesausschuss. Die Zahl der Betroffenen, die einen exzessiven Spielkonsum am Computer aufweisen, wird in Deutschland auf 300 000 geschätzt - genaue Zahlen gibt es nicht. Ihr Verhalten zeigt nach Expertensicht Merkmale einer stofflichen Sucht, etwa den suchttypischen Kontrollverlust.

Nach Angaben des Kinderpsychiaters Peukert fehlt es nicht am Ansatz für eine standardisierte Therapie. Damit die Kostenträger diese aber anerkennen, "brauchen wir Geld für Studien und Modelle", sagt Schoultz von Ascheraden. Zurzeit rechnen die Behandler aushilfsweise über kinderpsychiatrische Diagnosen ab. Allerdings helfen Ärzte oft auch ohne Bezahlung den betroffenen Eltern und vermitteln in Gruppengesprächen, welche Strategien zum Ausstieg sich für die Jugendlichen anbieten.

Die Vorträge sind abrufbar unter: www.aerztekammer-bw.de/25/08laek/dokumentation/091118/index.html

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