HINTERGRUND

"Sportunfälle kosten Geld - aber die Kosten von Bewegungsmangel sind vielfach höher"

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Workout-Kurs und viele machen mit? Die Motivation zum Breitensport hat in Deutschland vor allem bei jüngeren Menschen abgenommen.

Workout-Kurs und viele machen mit? Die Motivation zum Breitensport hat in Deutschland vor allem bei jüngeren Menschen abgenommen.

© Foto: dpa

Millionen Deutsche fiebern den Olympischen Spielen in Peking entgegen und werden die Fernsehberichterstattung verfolgen. Viele von ihnen sind auch selbst sportlich aktiv - genauso viele Deutsche aber treiben überhaupt keinen Sport. Besonders unter jüngeren nimmt die Motivation zum Breitensport ab.

Darauf wiesen im Vorfeld des sportlichen Großereignisses Professor Joachim Grifka (Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie) und Professor Axel Ekkernkamp (Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie) bei einem Pressegespräch in Hamburg hin. Nach ihren Angaben sind 27,5 Millionen Deutsche in Sportvereinen organisiert, außerdem treiben 15 Millionen Menschen in Deutschland ohne Bindung an einen Verein Freizeit- oder Breitensport.

Sport-Abstinenzler sind die Deutschen also nicht - doch die Zahl der inaktiven Menschen ist nach Meinung der Mediziner zu hoch. Ekkernkamp und Grifka sehen noch "erhebliches gesundheitsförderndes Potenzial", wenn sich die Inaktiven nur zu zwei Stunden Sport pro Woche motivieren ließen. Kein Argument gegen Sport sind für sie die viele Verletzungen von Breitensportlern in Deutschland. "Sportunfälle kosten Geld - aber die Kosten von Bewegungsmangel sind vielfach höher", sagte Grifka.

Bis zu zwei Millionen Verletzungen pro Jahr

In Deutschland kommt es jährlich zu 1,5 bis zwei Millionen Verletzungen im Breitensport. Behandlungskosten: rund 1,5 Milliarden Eurot. Die meisten Verletzungen beim Vereinssport passieren beim Fußball (ein Drittel aller Verletzungen), gefolgt vom Skifahren (zwölf Prozent) und Handball (7,5 Prozent). Beim nicht organisierten Sport verletzen sich ebenfalls meistens Fußballer (17 Prozent) und Skifahrer (elf Prozent), gefolgt von Inline-Skatern (neun Prozent).

Die am häufigsten verletzten Körperregionen sind die Sprunggelenke, die Kniegelenke und der Kopf. Als unvernünftig stufen Grifka und Ekkernkamp die Mehrzahl der Breitensportler nicht ein. Sie geben aber zu bedenken, dass der Körper von Hobbysportlern sich langsam an Intensitäten gewöhnen muss und dass im Gegensatz zu Spitzensportlern keine kontinuierliche medizinische Betreuung erfolgt.

Regenerationszeiten sind oft zu kurz

Ekkernkamp warnte auch davor, sich nach Verletzungen die kurzen Regenerationszeiten von Spitzensportlern zum Vorbild zu nehmen. "Hier liegen völlig andere Voraussetzungen vor. Spitzensportler haben eine bessere Ausgangslage, man kann hier von einer schnelleren Heilung ausgehen", sagte Ekkernkamp.

Neben körperlichen Unterschieden verwies er auch auf die enge medizinische Begleitung, die bei Spitzensportlern durch Ärzte und Physiotherapeuten erfolgt.

Um Verletzungen vorzubeugen rät Grifka Breitensportlern zu einer sorgfältigen Wettkampf- und Trainingsvorbereitung. Außer auf körperliche Fitness sollte auch Wert auf die Nutzung der richtigen Ausrüstung, auf das Aufwärmen und das systematische Erlernen der für die jeweilige Sportart erforderlichen Technik gelegt werden.

Als wirkungsvolle präventive Maßnahmen stuft er stabilisierende Übungen für Sprung- und Kniegelenke, das Tapen instabiler Sprunggelenke, Flexibilität und Kraft des Rumpfes, der Hüften und Beinmuskeln, Ausdauer und Koordinationstraining ein.

Bei Kindern unter zehn Jahren sind häufig mangelnde koordinative Fähigkeiten Ursache von Sportverletzungen. Ältere Kinder dagegen ziehen sich Verletzungen eher wegen ihres risikoreichen Verhaltens zu. Ekkernkamp empfiehlt deshalb eine gezielte Risikoaufklärung für Kinder ab zehn Jahren. Um Überlastungsschäden vorzubeugen, sollten nach seiner Ansicht regelmäßige sportmedizinische Untersuchungen verpflichtend für Sport treibende Kinder und Jugendliche sein.

"Als Spitzensportler hat man ständig Probleme"

Selbstverständlich ist eine tägliche Betreuung für die Athleten der deutschen Olympiamannschaft. Judoka Ole Bischof zum Beispiel hält dies bei zwölf Trainingseinheiten pro Woche auch für unverzichtbar. "Als Spitzensportler hat man ständig irgendwelche Probleme, die behandelt werden müssen", sagte der Olympiateilnehmer.

Um ihn und seine Kollegen werden sich in Peking 20 Ärzte und 40 Physiotherapeuten kümmern. Chef der Physiotherapeuten ist Klaus Eder, der auch für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verantwortlich ist. Wichtig aus seiner Sicht, dass Ärzte und Physiotherapeuten in ständiger Abstimmung sind und die Behandler sportartspezifisches Know-How mitbringen. Eder, der seit 1984 bei jeder Olympiade dabei war, gab in Hamburg einen Rat, den Hobby- und Spitzensportler befolgen sollten: "Niemals ein gesundheitliches Problem bagatellisieren."

STICHWORT

Medizinische Betreuung bei den Olympischen Spielen in Peking

30 Kilometer Tape haben allein die deutschen Olympia-Teilnehmer vor vier Jahren in Athen verbraucht - entsprechend ausgerüstet fährt der medizinische Tross in diesem Jahr nach Peking. 20 Ärzte unter der Leitung von Professor Wilfried Kindermann und 40 Physiotherapeuten unter der Leitung von Klaus Eder betreuen die Athleten. Dabei greifen sie auf insgesamt 30000 Artikel wie Pflaster, Medikamente oder Salben und auf Verfahren wie Ultraschall, Elektrotherapie und Laserlicht zurück. Für ernstere Fälle wird im olympischen Dorf eine Poliklinik errichtet. Außerdem kann bei Bedarf in die Uniklinik in Peking eingewiesen werden. (di)

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