Schöne Postulate, noch garniert mit vielen Leerformeln

Während für die Finanzierung des Gesundheitswesens im Koalitionsvertrag zumindest neue Zielvorstellungen postuliert werden, bleibt die Organisation medizinischer Leistungen weitgehend im Dunkeln. Nach einem Jahrzehnt der Reformen droht strukturkonservativer Stillstand.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Gut gelaunte Gesichter bei der Tagung des CDU-Bundesausschusses: Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Spitzenpolitikern ihrer Partei.

Gut gelaunte Gesichter bei der Tagung des CDU-Bundesausschusses: Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Spitzenpolitikern ihrer Partei.

© Foto: dpa

Rückblende ins Jahr 1999: Nach einem holprigen Start entwickelt die noch junge rot-grüne Koalition Ideen für eine innovative Organisation der Medizin. Die integrierte Versorgung wird geboren. Das Ideal scheitert zunächst an seiner Komplexität, gewinnt aber mit der 2003 beschlossenen Anschubfinanzierung und einfacheren Regeln an Fahrt. 6000 IV-Verträge werden in der Folgezeit beschlossen. Eine weitere Neuerung: Medizinische Versorgungszentren.

Reformfreudig zeigte sich auch die große Koalition: mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz schuf sie grundsätzlich neue Regelungen und viel mehr Flexibilität für die ärztliche Berufsausübung - manchen Funktionären vor allem in den konservativen Ärztekammern passte das nicht.

Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb bleibt in seinen Aussagen, wie Medizin und ärztliche Versorgung in Zukunft organisiert werden sollen, verschwommen und eher strukturkonservativ. Ablesen lässt sich dies an Postulaten wie: "Die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit ist ein tragendes Prinzip unserer Gesundheitsversorgung... Diese Struktur der ambulanten Versorgung wollen wir aufrechterhalten."

Konkret wird die Koalition nur in zwei Punkten: bei den MVZ und der Gestaltung von Paragraf 73b (Hausarztverträge).

Medizinische Versorgungszentren sollen künftig regelhaft nur noch von Vertragsärzten getragen werden können. Krankenhäuser können sich an MVZ beteiligen, aber nur als Minderheitsgesellschafter. In unterversorgten Regionen soll es eine Öffnungsklausel für Kliniken geben, wenn keine Interessenten aus dem Kreis der Vertragsärzte als Gesellschafter und Träger gefunden werden.

Feminisierung der Medizin wird nicht wahrgenommen

Mit diesen Restriktionen wird eine potenzielle Organisations-Innovation im Gesundheitswesen ausgebremst. Management-Gesellschaften, die im Ketten- oder Filialsystem MVZs organisieren, dürften künftig keine Chance mehr haben. Gleiches gilt für Krankenhäuser, die ihr stationäres Leistungsangebot um ambulante Medizin ergänzen wollen. Auch das Engagement einzelner Krankenkassen wie etwa der TK, die Modell-MVZ errichten, dürfte bald unmöglich werden.

Zwar spricht der Koalitionsvertrag politisch stets korrekt von "Ärztinnen und Ärzten", die Tatsache, dass künftig eine Mehrzahl der Mediziner Frauen sind, wird mit keinem Wort erwähnt. Dass die wirtschaftliche Freiberuflichkeit in Zukunft nicht mehr die von Ärztinnen und Ärzten präferierte Form der Berufsausübung sein könnte und dass in erheblichem Umfang alternative Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden müssen, passt offenbar nicht in die Vorstellungswelt konservativ-liberaler Gesundheitspolitik. Unter dem Einfluss einer Dämonisierungskampagne auch von Teilen der Ärzteschaft verengt die neue Koalition damit Organisationsoptionen für eine moderne Versorgung. Sie verknappt damit vor allem das Arbeitsangebot für Ärztinnen in der ambulanten Medizin und verschärft die Unterversorgung in Teilen der Republik.

Gleichwohl wird postuliert: "Die Sicherstellung der flächendeckenden und bedarfsgerechten medizinischen Versorgung ist uns ein zentrales Anliegen." Dem Ärztemangel und zunehmend längeren Wartezeiten müsse "wirksam begegnet" werden. Die Vorstellungen über das Instrumentarium fallen allerdings dürftig aus:

  • Die Bedarfsplanung der Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen müsse "zielgerichtet" weiter entwickelt werden. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein - bislang jedenfalls hat keine Bedarfsplanungs-Regelung funktioniert.
  • "Um der gemeinsamen Verantwortung für regionale Bedürfnisse und Strukturen besser gerecht zu werden, wollen wir fachliche Einwirkungsmöglichkeiten für die Länder prüfen" - was immer das bedeuten mag.
  • Nachwuchs soll gezielt gewonnen werden, Medizinstudenten sollen gefördert werden, die Allgemeinmedizin soll in der Ausbildung gestärkt werden.
  • Für Ärzte in unterversorgten Gebieten können Anreize und Mobilitätshilfen gewährt werden, und schließlich sollen die Delegationsmöglichkeiten an nichtärztliche Berufe erweitert werden - beides ist nicht neu.

Keine Antwort zum Vertragswettbewerb

Völlig offen bleibt, welche Vorstellungen die Koalition vom Vertragswettbewerb und vom Verhältnis von Kollektiv- zu Selektivverträgen hat. Gegen die FDP hat die CSU durchgesetzt, dass das Privileg des Hausärzteverbandes zum Abschluss von Hausarztverträgen und die Pflicht der Kassen, hausarztzentrierte Versorgung anzubieten, bis auf Weiteres bestehen bleibt. Das ist ein Kompromiss, keine Grundsatzentscheidung.

Aufatmen können wahrscheinlich die KVen. Zumindest in den nächsten vier Jahren dürfte ihre Existenzberechtigung nicht mehr in Frage gestellt werden. Mit Erleichterung werden sie zur Kenntnis nehmen, dass die Modalitäten die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Erbringung hochspezialisierter Leistungen überprüft wird.

Fazit: Manche Aussagen des Koalitionsvertrags klingen in den Ohren von Ärzten gefällig - aber man darf gespannt sein, wie die vielen Leerformeln ausgefüllt werden.

Lesen Sie dazu auch: Vertragsärzte sehen Licht und Schatten 73b: Hausärzteverband fühlt sich bestätigt Klinikärztegewerkschaft will jetzt Taten sehen 116b: Kliniken verlangen Abbau von Hemmnissen Pflegekräfte hoffen auf mehr "Netto vom Brutto" Opposition zerpflückt schwarz-gelbe Pläne

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