Depressive Männer wollen konkrete Hilfe statt Gesprächsrunden

Depressionen sind auf dem Vormarsch - bei Frauen und bei Männern. In einer Institutsambulanz in Sehnde in der Nähe von Hannover werden ausschließlich Männer mit Depression versorgt - ein Konzept mit Seltenheitswert.

Von Christian Benecker Veröffentlicht:
Fußballspiel nach Therapiesitzung: Männer werden auf der Station in Sehnde zu Teamplayern.

Fußballspiel nach Therapiesitzung: Männer werden auf der Station in Sehnde zu Teamplayern.

© Klinikum Wahrendorff

SEHNDE. Stark, deprimiert: In der Institutsambulanz Sehnde des psychiatrischen Klinikums Wahrendorff in Niedersachsen hat Anfang des Jahres Deutschlands erste Station für Männer mit Depressionen eröffnet.

Vor einem halben Jahr haben die Ärzte der Station die Fach- und Hausärzte der Umgebung informiert. "Das Angebot wird sehr gut angenommen. Heute haben wir Wartelisten für unsere Station", sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatik Dr. Michael Hettich, Chefarzt der Station, der "Ärzte Zeitung".

Über Gefühle sprechen? Da ist Ablehnung sicher

Dr. Michael Hettich leitet die Institutsambulanz Sehnde des Klinikums Wahrendorff.

Dr. Michael Hettich leitet die Institutsambulanz Sehnde des Klinikums Wahrendorff.

© Klinikum Wahrendorff

Immer mehr Männer zwischen 20 und 50 Jahre sind betroffen und brauchen eine besondere Therapie. "Wir setzen vor allem auf Verhaltenstherapie", sagt Hettich.

Gesprächsrunden und die Frage nach den eigenen Gefühlen dagegen werden von vielen der Patienten mit Ablehnung quittiert. "Einer unserer Patienten sagte mal, er wolle sich nicht auch noch die Probleme der anderen aufhalsen."

In Sehnde dagegen geht man im Laufe des sechswöchigen Aufenthaltes ganz konkret vor: Wie äußern sich Depressionen? Wie reagiert mein Körper? Was tue ich dann? Was muss ich stattdessen tun, um mit der schwierigen Situation umzugehen?

Von einsamen Wölfen zu Teamplayern

Wenn zum Beispiel viele Männer aus beruflichen Gründen, wie nach Statusverlusten oder verwehrten Beförderungen, zunächst zu Zorn und dann zu Depressionen neigen, üben die Ärzte in Sehnde gezielt den Umgang mit Wutanfällen: Per Stresstoleranztraining lernen und üben die Patienten statt zu trinken, zu rauchen oder auszuticken, die schwierige Situation zumindest zu ertragen.

In Hettichs Station können die Männer von deprimierten, einsamen Wölfen wieder zu Teamplayern mit Blick für die eigenen Grenzen werden. "Jedenfalls werden viele Patienten entspannter und kumpelhafter, nach den Therapie-Sitzungen wird bei uns gerne Fußball gespielt", sagt Hettich.

Keine Belege dafür, dass Frauen häufiger Depressionen haben als Männer

Unter Frauen wird zwei bis drei Mal häufiger eine Depression diagnostiziert als unter Männern, so Dr. Anna-Maria Möller-Leimkuhler, Sozialwissenschaftlerin an der Uni München. Das bedeute aber nicht automatisch, dass tatsächlich weniger Männer als Frauen erkranken.

Möller-Leimkuhler schreibt: "Die landläufige Annahme, dass Männer ein geringeres Depressionsrisiko haben als Frauen, sei es biologisch oder gesellschaftlich bedingt, wird durch keine substanziellen empirischen Befunde belegt."

Viele Betroffene flüchten in den Alkohol

Ist die Depression erst voll ausgebrochen, seien die Symptome bei Frauen und Männern ähnlich, so Hettich.

Aber die Anfänge der Erkrankung zeigen sich bei Männern anders als bei Frauen: Gereiztheit, Anspannung, Ärger, Sich-in-die-Arbeit-Stürzen, mehr rauchen oder Alkohol trinken, oder Flucht in den Sport.

"Männer sagen nicht, dass sie traurig oder mutlos sind", so Hettich, "das ist die Sprache der Frauen. Männer mit Depressionen sagen eher, dass sie zum Beispiel unter Druck stehen."

Die Erkrankung wird bei Männern wird häufig nicht erkannt

Deshalb werde die Erkrankung bei Männern in der Hausarztpraxis noch zu oft verkannt. Hausärzte sollten bei den genannten körperlichen Symptomen gezielt nach Depressionen fragen, "möglichst ohne den Begriff zu nennen, denn die Krankheit passt nicht in das Selbstbild vieler Männer", sagt Hettich, "die Frage nach Burnout oder Erschöpfungssymptomen kann dann schnell Klarheit schaffen."

Die Warteliste in Sehnde zeigt, dass niedergelassene Ärzte verstärkt auf Depressionen bei ihren Patienten achten.

Es fehlt noch an ambulanter Nachsorge

Allerdings fehle es an der Nachsorge, berichtet Hettich. "Von den niedergelassenen Ärzten haben wir begeisterte Rückmeldungen, aber nach ein paar Wochen verfliegen die Effekte", beklagt Hettich, "es fehlt an ambulanter Nachbehandlung. Die Wartezeiten für eine anschließende Psychotherapie sind zu lang."

In Sehnde denkt man jetzt darüber nach, in der Institutsambulanz Auffrischungskurse mit Therapie-Bausteinen aus der Station anzubieten.

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