Leitartikel zum Krankenhausreport

Warum immer mehr Druck Fehler nicht verhindert

In ihrem Krankenhausreport hat die AOK die Zahl der Behandlungsfehler in Deutschland angeprangert. Die meisten Fehler unterlaufen überlasteten Ärzten und Pflegekräften. Wie dieses Problem gelöst werden kann, sagt aber niemand.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:
Übermüdeter Arzt: Die meisten Fehler während eines Klinikaufenthaltes dürften auf zu großen Druck auf Ärzte und Pflegekräfte zurückzuführen sein.

Übermüdeter Arzt: Die meisten Fehler während eines Klinikaufenthaltes dürften auf zu großen Druck auf Ärzte und Pflegekräfte zurückzuführen sein.

© Wavebreak Media / Thinkstock

Die Reflexe haben auch dieses Mal funktioniert. Die AOK wartete kürzlich in ihrem Krankenhausreport mit provokanten Zahlen auf: In deutschen OP-Sälen sterben fünfmal mehr Menschen als im Straßenverkehr, hieß es. Bundesärztekammer und Deutsche Krankenhausgesellschaft zeigten sich empört.

BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery sah in der Art der Präsentation ein "durchsichtiges politisches Manöver". Das Thema solle mit Negativschlagzeilen besetzt werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft forderte mehr Geld.

Fest steht: In Krankenhäusern passieren - wie überall wo Menschen arbeiten - Fehler. Nur sind die Folgen hier oft ungleich dramatischer als in den meisten anderen Berufen. Im schlimmsten Fall werden Leben zerstört. Und nicht nur die der Patienten.

Ärzte und Pflegekräfte, denen Fehler unterlaufen sind, tragen schwer an dieser Schuld. Deshalb eignen sich Behandlungsfehler auch nicht für populistische Forderungen. Wem es um die ernste Sache geht, der muss die Fehleranalyse vorantreiben. Und hier wird es absurd.

Den wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhäuser erhöhen und zugleich bessere Qualität einfordern, das ist verlogen. Fehler passieren vor allem unter Druck. Zeitdruck, Druck durch Vorgesetzte, ökonomischer Druck - das alles hängt zusammen.

Ärzte und Pflegekräfte im Dauerstress

Überlastete Pflegekräfte mit jahrelanger Berufserfahrung berichten, dass sie manchmal registrieren, mit einem Patienten stimmt etwas nicht. Dann klingelt es schon wieder in einem anderen Zimmer, dann im nächsten, und so geht es bis zum Dienstende weiter. Bei der Übergabe fällt ihnen dann plötzlich wieder ein, dass sie noch nach dem Patienten schauen wollten.

Läuft es schlecht, hat sich dessen Gesundheitszustand mittlerweile erheblich verschlimmert. Ältere Pflegekräfte und Ärzte wissen, dass es solche brisanten Vorfälle früher seltener gegeben hat. Der Personalschlüssel war ein anderer.

So ist die Zahl der Klinikpatienten zwischen 1991 und 2012 um vier Millionen gestiegen. Im gleichen Zeitraum wurden aber im nichtärztlichen Bereich elf Prozent der Stellen abgebaut. Die Zahl der Ärzte nahm in diesen Jahren vor allem wegen der Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie zwar deutlich zu (plus 50.000).

Ihr Aufgabenfeld wurde aber auch umfassender. Und trotz der gestiegenen Arztzahlen fehlen auf vielen Stationen Mediziner. Dass immer mehr ausländische Ärzte die Lücken schließen sollen, wird wegen der häufig auftretenden Sprachprobleme die Zahl der Fehler kaum senken.

Eigentlich ist es ein Wunder, dass angesichts der Menge der Behandlungsfälle - 18 Millionen in den Kliniken, 540 Millionen im vertragsärztlichen Bereich - vergleichsweise wenig schief läuft.

Die AOK hat aus ihrer Sicht gute Gründe, die Zahl der Behandlungsfehler anzuprangern. Sie will schon lange mehr Einfluss auf die Klinikplanung nehmen. Zentrenbildung und Spezialistentum sollen gefördert werden. Sie will Verträge mit einzelnen Kliniken abschließen und ihre Patienten dort hinlotsen.

Das soll die Behandlungsqualität für ihre Versicherten steigern und zugleich Geld sparen. Der Wettbewerbsdruck unter den Krankenhäusern würde größer, der Markt bereinigt. Erste Möglichkeiten auf diesem Weg ebnet den Kassen der Koalitionsvertrag. Er sieht einen Einstieg in Selektivverträge vor.

Zahlt sich Transparenz wirklich aus?

Überhaupt enthält der Koalitionsvertrag viele Elemente, die die Behandlungsqualität in den Kliniken steigern sollen.

Qualitätsberichte sollen für Patienten verständlicher werden, der MDK soll unangemeldet Kliniken überprüfen dürfen, Patienten einfacher eine Zweitmeinung einholen können, ein Institut für Qualitätssicherung im Krankenhaus möglichst schnell etabliert werden. Zudem hat sich in den vergangenen Jahren zum Beispiel durch das 2012 verabschiedete Klinikhygienegesetz viel getan.

Kliniken haben in der Zwischenzeit auch gelernt, offen mit Missständen umzugehen. Sei es das Klinikum Bremen-Mitte, das durch den Tod dreier Frühchen lange Zeit im Fokus der Öffentlichkeit stand, oder die Unimedizin Göttingen, die durch Missstände in der Transplantationschirurgie Negativschlagzeilen produzierte.

Beide Kliniken haben Konsequenzen gezogen, die zu deutlichen Verbesserungen im Klinikablauf geführt haben. Ob ihnen das auf Dauer hilft, ist aber fraglich. Im Klinikum Bremen-Mitte werden zur Zeit keine Kinder mehr entbunden. Die Transplantationsmedizin an der Uniklinik Göttingen steht weiter extrem unter Druck. Die Ersatzkassen fordern ihre Schließung.

Jeder Fehler ist einer zu viel. Dieser Satz ist so ausgelutscht, man mag ihn bald nicht mehr hören. Trotzdem bleibt er natürlich wahr. Und alle Initiativen und vermutlich auch alle Gesetze, die angestoßen werden um die Behandlungsqualität zu verbessern, sind sicher gut und richtig. Doch sie alle werden die Zahl der Fehler nicht deutlich reduzieren.

Machen wir uns nichts vor: Solange extremer Personalmangel auf den Stationen und in den wichtigen Klinikeinheiten herrscht, solange ein Führungsverhalten an der Tagesordnung ist, das kritische Nachfragen abwürgt und nicht fördert, wird der Kampf gegen Fehler nicht entscheidend vorankommen.

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