SPD-Sonderparteitag

Weg frei für GroKo-Gespräche – Schulz verspricht Nachverhandlungen

Es war eine Zitterpartie: Weniger als 60 Prozent der SPD-Delegierten auf dem Parteitag stimmten Gesprächen zur Bildung einer große Koalition zu. SPD-Chef Martin Schulz hatte zuvor die Errungenschaften in der Sondierung hervorgehoben und betont, dass weiterverhandelt werde – auch in Sachen Gesundheit.

Ruth NeyVon Ruth Ney Veröffentlicht:
Sichtlich erleichtert: SP-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles und SPD-Partei-Chef Martin Schulz nach der knappen Abstimmung mit 362 Ja- zu 279 Nein-Stimmen.

Sichtlich erleichtert: SP-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles und SPD-Partei-Chef Martin Schulz nach der knappen Abstimmung mit 362 Ja- zu 279 Nein-Stimmen.

© Kay Nietfeld/dpa-Bildfunk

BONN. Auf dem Sonder-Parteitag in Bonn präsentierte sich eine zerrissene SPD. Eine klare Tendenz für oder gegen eine große Koalition zeichnete sich in der Debatte lange Zeit nicht ab. SPD-Vorsitzender Martin Schulz hatte am Sonntag in seiner Rede zunächst eingeräumt, dass er mit seinem Verhandlungsteam in den Sondierungsgesprächen mit der Union nicht alle Ziele erreicht hat. Unter anderem in der Gesundheitspolitik seien Ergänzungen des Sondierungspapiers nötig.

"Wir werden konkrete Maßnahmen zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin verlangen – und wir werden sie durchsetzen", sagte er. Zudem müssten befristete Arbeitsverhältnisse künftig die Ausnahme sein. Als dritten Punkt versprach Schulz eine Härtefallregel für den Familiennachzug. Sein Credo: "Wir werden bis zum letzten Verhandlungstag für ein Ergebnis kämpfen, mit dem wir mit gutem Gewissen vor unsere Mitglieder treten können."

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Es wird wehtun!

Trotz dieses Zugeständnisses musste der Parteichef nach seiner Rede zunächst einige Kritik in der Aussprache, zu der mehr als 100 Wortmeldungen angemeldet worden waren, einstecken. Hier entstand zwischenzeitlich der Eindruck, dass die GroKo-Gegner die Debatte dominierten. Redner wie der No-Groko-Anführer und Juso-Chef Kevin Kühnert, die ehemalige Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann oder Hilde Mattheis, die Vorsitzende des SPD-internen Forums Demokratische Linke, erhielten merklichen Applaus für ihre Worte gegen die Neuauflage einer großen Koalition.

Werben für bisherige Erfolge

Da half es auch wenig, wenn SPD-Spitzenpolitiker die Erfolge aus den Sondierungsgesprächen hervorhoben. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lobte etwa die errungenen Verbesserungen für die Pflege und fragte, ob die Dinge, die Kritiker im Sondierungspapier als fehlend monierten, ohne Regierungsbeteiligung kommen würden. Man könne niemanden, der in der Pflege arbeite, vermitteln, dass man sich gerade in einer parteilichen Umgestaltungsphase befinde und es daher noch ein paar Jahre dauere mit der Umsetzung von Verbesserungen.

Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer hatte zum Auftakt des Parteitages ebenfalls eindringlich für Koalitionsgespräche mit der Union geworben und als einen Erfolg der Sondierungsgespräche aus dem Gesundheitsbereich auf die beschlossene Parität bei Krankenversicherungsbeiträgen für Arbeitgeber und Beschäftigten verwiesen.

Das schien viele SPD-Mitglieder allerdings nicht zu überzeugen.

Es geht weiter bei der Regierungsbildung. Auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn stimmten am Sonntag 642 Delegierte über den Start von Koalitionsgesprächen ab. In erster Reihe: Andrea Nahles (links), Martin Schulz und Malu Dreyer (rechts).

Es geht weiter bei der Regierungsbildung. Auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn stimmten am Sonntag 642 Delegierte über den Start von Koalitionsgesprächen ab. In erster Reihe: Andrea Nahles (links), Martin Schulz und Malu Dreyer (rechts).

© Kay Nietfeld/dpa-Bildfunk

Nahles kämpferisch

Einen Wendepunkt in die Debatte brachte erst der Auftritt von SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles, die in einer flammenden Rede die Parteimitglieder erinnerte: "Wir geben doch die SPD nicht auf mit ihren Zielen, wenn wir uns entscheiden mit der CDU/CSU in eine große Koalition gehen." Kämpferisch rief sie: "Wir werden verhandeln, bis es quietscht". Dazu gehöre auch, dass weiter daran gearbeitet werde, dass eine Bürgerversicherung kommt.

Danach mehrten sich die Plädoyers – etwas von Heike Maas, dem SPD-General-Sekretär Lars Klingbeil oder SPD-Vize Thorsten Schäfer Gümbel als letztem Redner – für eine Neuauflage der großen Koalition trotz Haken und Ösen. Ebenso warb DGB-Chef Reiner Hoffmann dafür. In einer letzten kurzen Ansprache vor der offenen Abstimmung bat Martin Schulz "vor dem Hintergrund der offenen Debatte" dann nochmals dafür, den Weg für die Groko-Verhandlungen freizugeben.

Dann war die Abstimmung. Am Ende der Zitterpartie – offene Abstimmung per Handzeichen und Auszählung – stimmten 362 Mitglieder mit Ja und 279 mit Nein bei einer Enthaltung für die Aufnahme von Koalitionsgespräche. (mit Material von dpa)

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Kommentare
Dr. Jürgen Schmidt 22.01.201800:38 Uhr

Vorhang zu ? Und alle Fragen?

Was will uns die SPD mit diesem Parteitag eigentlich sagen:

Die repräsentative Demokratie nach der die neue Fraktion über eine Regierungsbeteiligung zu entscheiden hätte, wird durch eine Delegiertenversammlung auf den Kopf gestellt und entmachtet. Die Wähler, die diese Fraktion in Kenntnis der Parteiführung gewählt haben ebenso.

Entscheidungsträger sollen letzt endlich dann die Mitglieder sein, wieder eine andere, nicht einmal gewählte, sondern selbst gebildete Ebene mit starken Lobbygruppen aus Gewerkschaft, Sozialverbänden etc.. Dies alles inszeniert von einem Parteiführer mit einem 100 % Votum, dessen Empfehlungen dann auf diesem Parteitag trotz eines einmütigen Vorstandsvotums eine magere 55 %ige Zustimmung bekommen.

Die CDU/ CSU wäre gut beraten, sich von vorne herein auf das Zerbrechen einer eventuellen Koalition einzustellen. Die Gefahr ist groß, dass der Partner sich zum Zeitpunkt einer „Erneuerung“ der SPD sich der Koalition, die man eigentlich hat vermeiden wollen, dann wieder entledigt und damit auch den gegenwärtigen nur kurz geliebten Parteivorstand auf einfache Weise los wird.

Es droht erneut ein Rollenverständnis der SPD als Opposition in der Regierung, alles wie gehabt. Staat wird man mit dieser Groko nicht machen können, geschweige denn Zukunftsfragen lösen.

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