Interview

"Ärzte Zeitung" und AOK suchen einen Landarzt

"Landarzt gesucht" - unter diesem Motto wollen die "Ärzte Zeitung" und der AOK-Bundesverband für die Gemeinde Woldegk im südlichen Mecklenburg einen neuen Hausarzt finden. Im Interview sprechen der AOK-Chef und der Chef von Springer Medizin über die Hintergründe.

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Veröffentlicht: 24.05.2012

Ärzte Zeitung: Eine Tageszeitung für Ärzte und eine Krankenkasse machen sich gemeinsam auf die Suche nach einem Landarzt. Das gab's bisher noch nie. Steigen Springer Medizin und AOK damit ins Job-Vermittlergeschäft ein?

Harm van Maanen: Wer weiß, wenn wir damit Erfolg haben ... - aber Spaß beiseite, wir wollen wissen, inwiefern das Problem Landarztsuche nicht auch ein Kommunikationsproblem ist.

Jürgen Graalmann: Wir haben tatsächlich ein neues Arbeitsfeld entdeckt: Wir betreiben Standortmarketing und werben für die Stadt Woldegk. Dahinter steht aber ein ernsthaftes Anliegen: Es wollen offenbar immer weniger Ärzte aufs Land.

Mit der Landarztsuche in Woldegk machen wir auf diese Entwicklung aufmerksam. Wir haben ein Verteilungsproblem zwischen ländlichen Regionen und Ballungszentren.

Ärzte Zeitung: Sie beschreiben den ernsten Hintergrund der Aktion. Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, in Mecklenburg-Vorpommern auf Arztsuche zu gehen?

van Maanen: Wir wollen an das Thema Ärztemangel nicht pauschal herangehen - wir wollen den Fokus auf die Region richten. Würde ich als junger Arzt als erstes in Woldegk nach einer Niederlassung suchen? Eher nicht. Also drehen wir die Aufgabenstellung um und stellen die Frage: Warum eigentlich nicht?

Als ich vor 15 Jahren beruflich von Dortmund nach München wechselte, dachte ich, ich würde einen enormen Wohlstand erfahren, weil ich ein vermeintlich gutes Gehalt bekommen sollte.

Die Ernüchterung kam prompt - wegen der hohen Lebenshaltungskosten. Diesen Effekt gibt es sicher auch umgekehrt, wenn man von München nach Woldegk wechselt!

Jürgen Graalmann

Aktuelle Position: seit 2011 Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes

Werdegang/Ausbildung: geboren 1968 in Leer, Abitur, Studium an der FH Köln u. a. bei Prof. Jürgen Wasem

Karriere: kurze Zeit als Dozent an der FH Köln, anschließend Wechsel in die Hauptverwaltung der Barmer nach Wuppertal, ab 2000 Leitung der Abteilung Gesundheitspolitik und Grundsatzfragen, 2006 Wechsel zum AOK-Bundesverband, seit 2009 im Vorstand

Privates: verheiratet, 2 Töchter

Graalmann: Wir betrachten die Situation aus Sicht unserer Versicherten, und für uns steht fest: Eine medizinische Versorgung nach Postleitzahlen darf es nicht geben. Die hausärztliche Versorgung muss überall auf Dauer sichergestellt sein.

Die AOK als Regionalkasse hat die Versorgungssituation vor Ort im Blick und unterstützt schon seit geraumer Zeit je nach Region verschiedene Modelle.

So beteiligen wir uns beispielsweise an der Gründung von Filialpraxen oder unterstützen Projekte, die die Weiterentwicklung von Praxisassistentinnen zu arztentlastenden Fallmanagerinnen fördern sollen, wie zum Beispiel agnes zwei. Schon heute zeigt sich: Die Patentlösung gibt es nicht. Wir müssen unterschiedliche Wege gehen.

Ärzte Zeitung: Eigentlich soll das doch durch das Versorgungsstrukturgesetz, das auch "Landärztegesetz" genannt wird, erreicht werden. Ist eine zusätzliche Initiative damit überhaupt noch erforderlich?

Graalmann: Ein Gesetz alleine kann dabei wenig ausrichten. Es kommt darauf an, dass vor Ort ein praktikabler Weg gefunden wird. Wir geben mit unserer Initiative einen weiteren Anstoß.

van Maanen: Das sehe ich auch so. Gesetze schaffen Rahmenbedingungen, selten aber Motivation. Da gehört doch einiges mehr dazu. Und wir wollen herausfinden, was. Zudem wollen wir lernen, ob eine solche Erfahrung einen Beitrag zur perspektivischen Lösung leisten kann.

Ärzte Zeitung: Warum haben Sie sich gerade für Woldegk entschieden?

Harm van Maanen

Aktuelle Position: Seit 2009 Executive Vice President der Fachverlagsgruppe Springer Medizin

Werdegang/Ausbildung: Geboren 1966 in Cuijk, Abitur, Studium an der Erasmus- Universität in Rotterdam und an der FH Dortmund.

Karriere: verschiedene Stationen bei Architektursoftware-Herstellern, u.a. bei der acadGraph GmbH und der Nemetschek AG (bis 2006); Geschäftsführer Springer Baumedien (bis 2007), Geschäftsführer Ärzte Zeitung.

van Maanen: Wir haben ganz bewusst eine Region ausgewählt, in der es in den nächsten Jahren wirklich zu einem echten Versorgungsengpass kommen wird. Es gibt sicherlich auch andere Regionen in Deutschland, aber in Woldegk schien uns die Versorgungslage besonders kritisch zu sein.

Graalmann: Wichtig war uns, dass wir mit unserer Initiative praktische Hilfe leisten, wo der Bedarf akut besteht. Ich würde mich sehr freuen, wenn das klappt und wir im November eine Ärztin oder einen Arzt für Woldegk gefunden haben.

Ärzte Zeitung: Was wollen Sie konkret unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen?

van Maanen: Wir werden zunächst mit allen verantwortlichen Stellen sprechen. Dabei wollen wir selbstverständlich auch die Vorzüge einer Niederlassung herausstellen.

Wichtig dabei ist natürlich die Vorstellung der anderen Gesundheitsakteure wie etwa die anderen Ärzte vor Ort, das Krankenhaus, der Apotheker, das Pflegeheim etc.

Ärzte Zeitung: Von vielen Umfragen wissen wir, wie wichtig das Umfeld, die Infrastruktur und der Freizeitwert einer Region für Ärzte sind, die sich niederlassen wollen ...

Graalmann: Das ist richtig. Die Infrastruktur spielt für die persönliche Entscheidung eines Arztes eine wesentliche Rolle.

Wir werden uns daher natürlich auch Möglichkeiten zur Kinderbetreuung und das Freizeitangebot anschauen. Als gebürtiger Ostfriese weiß ich, wie reizvoll und welche Anziehungskraft das Leben auf dem Land haben kann.

Ärzte Zeitung: Inwieweit haben sie die Zulassungsgremien wie etwa die KV bei der Aktion eingebunden?

van Maanen: Wir haben bei der KV nachgefragt und mit dem Bürgermeister vor Ort gesprochen …

Graalmann: ... darüber hinaus stehen wir in ständigem Kontakt mit dem Zulassungsausschuss.

Ärzte Zeitung: Wie sicher sind Sie, dass die Aktion Erfolg hat und Sie am Ende tatsächlich einen Arzt für Woldegk finden?

van Maanen: Wir sind uns überhaupt nicht sicher, aber ich glaube persönlich fest daran, weil wir ein abgestimmtes Kommunikationskonzept haben, bei dem sich alle Beteiligten wiederfinden.

Graalmann: Wichtig ist, dass der Funke überspringt und wir einen Arzt für Woldegk begeistern. Wer Interesse hat, kann sich übrigens direkt an die angegebene Hotline wenden (Telefon: 0 61 02 / 50 61 06, Anm. d. Red.).

Ärzte Zeitung: Der Schuss kann natürlich auch nach hinten gehen.

van Maanen: Das sehe ich nicht so. Wenn wir tatsächlich keinen Arzt für die Region fänden, würde das einmal mehr unterstreichen, wie schwierig die Situation vor Ort ist.

Graalmann: Bei diesem Anliegen kann der Schuss nicht nach hinten losgehen. Wichtig ist, dass wir uns der Problematik stellen. Wir brauchen für die ambulante Versorgung auf dem Land in Zukunft neue Lösungen, und an deren Entwicklung wird sich die AOK weiterhin beteiligen.

Ärzte Zeitung: Haben Sie geplant, sich auch direkt an Kliniken und an Weiterbildungspraxen zu wenden, in denen junge Ärzte arbeiten?

van Maanen: Ja, das ist geplant, wir wollen einfach nichts unversucht lassen. Darum stellen wir die Aktion ja auch im Klinikreport der "Ärzte Zeitung" ausführlich vor.

Ärzte Zeitung: Hand aufs Herz - wenn alle Stricke reißen: Haben Sie einen Plan B in der Tasche?

van Maanen: Nein. Wenn wir es nicht schaffen, wissen wir allerdings besser, wie groß die Versorgungsprobleme wirklich werden. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir mit der Aktion sowieso einen positiven Beitrag leisten, denn es geht nicht nur um Woldegk, es geht um den Perspektivenwechsel!

Graalmann: Wir konzentrieren uns darauf, einen Arzt für Woldegk zu finden. Unabhängig davon, entwickeln die AOKs verschiedene Modelle für die Versorgung auf dem Land. Um erfolgreich zu sein, kommt es darauf an, dass wir unsere Kräfte bündeln und gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Ministerien und anderen Akteuren vor Ort handeln.

Das Interview führte Wolfgang van den Bergh.

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