Contra Bürgerversicherung

Die Argumente der PKV

Wahlkampf ante portas: Die Parteien rüsten sich mit Ideen für das Gesundheitswesen - etwa die Bürgerversicherung. Die PKV-Branche ist alarmiert. Jetzt hat sie sich mit neuen Argumenten bewaffnet.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Bürgerversicherung statt Kopfpauschale: Wahlkampf 2005.

Bürgerversicherung statt Kopfpauschale: Wahlkampf 2005.

© Berg / imago

KÖLN. Rechtzeitig vor der Bundestagswahl können sich die privaten Krankenversicherer (PKV) mit neuen Argumenten gegen die von Sozialdemokraten, Grünen und Linken favorisierte Bürgerversicherung munitionieren.

Das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) kommt in einer aktuellen Untersuchung zu dem Schluss, dass eine Abkehr vom dualen System von gesetzlicher und privater Krankenversicherung der Rationierung von Gesundheitsleistungen Vorschub leisten würde.

Die Studie "Rationierung und Versorgungsunterschiede in Gesundheitssystemen" soll an diesem Montag veröffentlicht werden. Sie vergleicht das Ausmaß der Rationierung in verschiedenen Ländern, die der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angehören.

Die Autoren Verena Finkenstädt und Dr. Frank Niehaus haben dafür eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen ausgewertet. Innerhalb der untersuchten Länder nimmt Deutschland mit seinem dualen System eine Sonderrolle ein.

In fast allen anderen OECD-Staaten gibt es eine einheitliche, kollektiv über Steuern oder Beiträge finanzierte (Grund-)Absicherung des Krankheitsrisikos für alle Bürger, so das WIP.

Von Rationierung in einem Gesundheitssystem gehen die Wissenschaftler dann aus, "wenn es eine Nachfrage nach Gesundheitsleistungen gibt, die nicht vom Gesundheitssystem befriedigt wird".

Dieses Phänomen gibt es in allen untersuchten Ländern, allerdings mit deutlich unterschiedlicher Ausprägung. "Rationierung macht sich unter anderem durch Wartezeiten, Einschränkungen der Wahlfreiheit des Patienten, Begrenzungen des Leistungskatalogs oder obligatorische Zuzahlungen bemerkbar."

Ebenso wie es überall Rationierung gibt, gibt es auch überall Versuche der Betroffenen, sie zu umgehen: durch private Zusatzversicherungen, die Inanspruchnahme von Leistungen im Ausland, individuelle oder sogar illegale Privatzahlungen an Ärzte oder Krankenhäuser.

Nicht allen Patienten stehen aber solche Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung, vielen fehlen dazu die Mittel.

Wer am längsten warten muss

"In einer Gesellschaft mit einem einheitlich organisierten Gesundheitssystem werden Patienten also trotz gleicher Indikation durchaus unterschiedlich behandelt", schreiben Finkenstädt und Niehaus.

Beim Ausmaß der Rationierung und den Folgen für die Bevölkerung stellen sie anhand der Daten in den einzelnen Ländern gravierende Unterschiede fest.

So verweisen sie auf eine Umfrage des Commonwealth Fund aus dem Jahr 2010, nach der in Kanada 25 Prozent der Befragten vier Monate oder länger auf einen geplanten Eingriff warten mussten, in Schweden 23 Prozent, in der Schweiz und den USA nur je sieben Prozent und in Deutschland null Prozent.

Die Autoren beleuchten die Situation in den einzelnen Ländern unter verschiedenen Aspekten. Außer den Wartezeiten zählen dazu die Wahlfreiheit der Patienten und die Begrenzung des Leistungsumfangs. Sie gehen zudem auf den Einfluss der Finanzmarktkrise und auf die Bedeutung des privaten Gesundheitsmarktes ein.

Auch wenn direkte Vergleiche wegen der Unterschiedlichkeit der Systeme oft schwer sind, sehen die Wissenschaftler klare Zusammenhänge: In steuerfinanzierten Gesundheitsdiensten ist die Rationierung am stärksten, in beitragsfinanzierten Sozialversicherungssystemen ist sie geringer.

Das wesentliche Ergebnis des Ländervergleichs für das WIP: "Einheitlich kollektiv finanzierte Gesundheitssysteme führen zu weitaus größeren Versorgungsunterschieden als das duale Gesundheitssystem aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung in Deutschland."

Sowohl was den Zugang als auch was die einheitliche Versorgung betrifft, sehen Finkenstädt und Niehaus Deutschland den Vergleichsländern als überlegen an.

"Denn gerade Patienten mit niedrigeren Einkommen, die auf die staatlich definierte Grundversorgung angewiesen sind, müssen sich mit schlechteren Leistungen als in Deutschland begnügen."

Ihre Schlussfolgerung: Einem "Einheitssystem vom Reißbrett" wie es SPD, Grüne und Linkspartei vorschwebt, müsse mit Skepsis begegnet werden.

Einen Beleg dafür, dass die Zusammenführung von PKV und GKV in einem gemeinsamen Markt hierzulande zu Rationierungen größeren Ausmaßes führen würde, liefern die Autoren nicht.

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