Für das Modell der Widerspruchslösung

Die Widerspruchslösung schränkt nicht die Selbstbestimmung unangemessen ein

Von Stefan Grüttner Veröffentlicht:

Stefan Grüttner, Sozialminister in Hessen

In Deutschland warten derzeit mehr als 12.000 Patienten auf ein Spenderorgan. Infolge des Organmangels sterben jedes Jahr rund 1000 Patienten auf der Warteliste.

Laut Umfragen sind dreiviertel der Menschen bereit ein Organ zu spenden, aber nur ein Viertel dokumentiert ihren Willen auch in einem Organspendeausweis. Hierin liegt das Problem der bestehenden erweiterten Zustimmungslösung.

Oft müssen Angehörige die Entscheidung treffen

In der überwiegenden Zahl der Fälle müssen daher bei nicht bekannter Einwilligung des potenziellen Organspenders die Angehörigen eine Entscheidung treffen. Bei Übermittlung der Todesnachricht ist es für viele aber unmöglich, eine Entscheidung im Sinne des Verwandten abzuwägen.

Viele Angehörige lehnen daher in dieser Situation eine Organentnahme ab. Trotz kontinuierlicher Aufklärung und Sensibilisierung der Bürger konnte bisher die Zahl der Organspenden nicht dauerhaft gesteigert werden.

Für den Gesetzgeber ist es in dieser Situation ethisch geboten, Wege zugunsten einer besseren Versorgung von Patienten mit Spenderorganen zu suchen. Angesichts der Möglichkeit, einem schwer kranken Mitmenschen in einer extremen Notlage wirksam zu helfen, ist es jedem zuzumuten, sich einmal im Leben zur Organspende zu erklären.

Angesichts dieser Möglichkeit kann die Verweigerung einer Entscheidung zur Organspende nicht voll und ganz in das Belieben des Einzelnen gestellt werden. Die Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem Tod oder der Aufschub einer bewussten Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist dabei keine ausreichende Begründung.

Die Widerspruchslösung überschreitet nicht den Rahmen, den die Verfassung dem Gesetzgeber für mögliche Einschränkungen der Selbstbestimmung vorgibt.

Das Recht, selbst zu entscheiden, bleibt unangetastet

Die Widerspruchslösung ist insbesondere dann akzeptabel, wenn der Staat die Verpflichtung eingeht, über diese eingehend und nachhaltig zu informieren. Dann ist es legitim, anzunehmen, dass jede ernsthafte Ablehnung in einem Widerspruch zum Ausdruck gebracht werden wird.

Das Recht, selbst zu entscheiden, ob man Organspender sein will oder nicht, bleibt unangetastet und ist daher im Einklang mit der Menschenwürde sowie der Glaubens- oder Weltanschauungsfreiheit. Bei der erweiterten Widerspruchslösung können außerdem die Angehörigen explizit widersprechen.

In Anbetracht der großen öffentlichen Zustimmung zur Organspende wird mit einer Gesetzesänderung nicht nur ein legitimes öffentliches Interesse verfolgt, sondern es wird auch die dem Staat obliegende Schutzpflicht zugunsten des Lebens eingelöst, die Versorgung von Patienten mit Spenderorganen zu verbessern.

Lesen Sie dazu auch: Dr. Martina Wenker: "Eine Bereitschaft zur Organspende sollte nicht gesetzlich verordnet werden"

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