Bundesgerichtshof

Patientenverfügung gilt ohne Gerichtsentscheid

Richter geben der Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen einer Frau im Wachkoma statt.

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KARLSRUHE. Ärzte dürfen auch ohne Gerichtsbeschluss eine künstliche Ernährung beenden. Das ist zulässig, wenn sich für die konkrete Situation ein entsprechender Wille bereits aus der Patientenverfügung ergibt, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Donnerstag veröffentlichten Leitsatzbeschluss entschied. Dabei kann auch eine recht allgemeine Formulierung in der Verfügung ausreichen.

Konkret darf danach eine inzwischen 78 Jahre alte Frau aus Bayern sterben. Seit einem Schlaganfall 2008 liegt sie im Wachkoma und wird über eine Magensonde künstlich ernährt.

In einer bereits 1998 geschriebenen Patientenverfügung lehnte die Frau lebensverlängernde Maßnahmen ab, wenn „keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht“. „Aktive Sterbehilfe lehne ich ab“, heißt es weiter in der Verfügung.

In derselben Urkunde benannte sie ihren Sohn als „Vertrauensperson“, um ihren Willen durchzusetzen. Das Amtsgericht Freising benannte ihn und auch den Ehemann der Frau als Betreuer. Seit 2014 spricht sich der Sohn für ein Ende der künstlichen Ernährung aus. Dagegen sperrte sich aber der Ehemann. Im ersten Durchgang entschieden Amts- und Landgericht für eine Fortsetzung der künstlichen Ernährung, weil die Frau Sterbehilfe abgelehnt habe und gläubige Katholikin sei.

Diese Urteile hatte der BGH 2017 aufgehoben und den Streit zur erneuten Prüfung an das Landgericht Landshut zurückverwiesen. In eine Patientenverfügung dürfe nicht etwas hineingelesen werden, das dort nicht steht. Im zweiten Durchgang holte das Landgericht ein medizinisches Gutachten ein. Danach besteht eine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins nicht. Daher befand das Landgericht, dass die Frau keine lebenserhaltenden Maßnahmen mehr wünscht. Eine Beendigung der künstlichen Ernährung bedürfe in dieser Situation keiner betreuungsgerichtlichen Genehmigung.

Dies hat mit seinem neuen Beschluss der BGH nun bestätigt. Die Patientenverfügung sei aus sich selbst heraus bindend.

Zwar bekräftigten die Karlsruher Richter, dass eine Erklärung „Lebensverlängernde Maßnahmen lehne ich ab“ nicht ausreichend ist. Hier habe die Patientin dies aber deutlich auf Situationen bezogen, in denen „keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht“. Dies sei zwar immer noch eine weite Formulierung; sie sei aber auf die konkrete Situation der Patientin anwendbar und treffe nach den neuen Feststellungen des Landgerichts auch zu. Ärzte und Betreuer könnten nicht erwarten, dass Patienten ihre künftige Lebenssituation vorausahnen und entsprechend genau dazu ihre Wünsche erklären. (mwo)

Az.: XII ZB 107/18

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