Große Mehrheit in der Nationalversammlung

Sterbehilfegesetz in Frankreich nimmt erste Hürde

Die französische Nationalversammlung stimmt einem umstrittenen Sterbehilfegesetz zu. Ob der Senat als zweite Kammer diesem Schritt folgt, ist ungewiss. Dann könnte es zu einer politischen Blockade kommen.

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Der französische Gesundheitsminister und Arzt Dr. Yannick Neuder (li.) und der Berichterstatter des umstrittenen Gesetzentwurfs Olivier Falorni – hier in der Nationalversammlung im Dezember 2024.

Der französische Gesundheitsminister und Arzt Dr. Yannick Neuder (li.) und der Berichterstatter des umstrittenen Gesetzentwurfs Olivier Falorni – hier in der Nationalversammlung im Dezember 2024.

© Hans Lucas | Nicolas Messyasz / picture alliance

Paris. Die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung haben einen umstrittenen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe mit 305 gegen 199 Stimmen angenommen. Fast einstimmig wurde zudem eine weitere Gesetzesvorlage zur flächendeckenden Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung verabschiedet. Der zuständige Berichterstatter Olivier Falorni und weitere Verfechter der „aktiven“ Sterbehilfe sprechen von einem historischen Tag. Ihre Gegner hingegen warnen, hier sei die Tür zur „Euthanasie“ aufgestoßen worden. Das sei eine gefährliche gesellschaftliche Entwicklung.

Die Parlamentarier in der Nationalversammlung waren nicht der Fraktionsdisziplin unterworfen und konnten nach ihrem Gewissen entscheiden. Frühestens im Herbst wird sich der Senat als zweite Kammer des Parlaments mit dem Gesetzentwurf beschäftigen. Da der Senat als deutlich konservativer als die Nationalversammlung gilt, seien grundsätzliche Änderungen bis hin zur Zurückweisung des Entwurfs möglich, kündigte Senatspräsident Gérard Larcher an.

Fünf Kriterien für die Zulässigkeit der Sterbehilfe

Der angenommene Entwurf sieht die gesetzliche Verankerung eines „Rechts auf Sterbehilfe“ vor und definiert dafür fünf Vorgaben: Nur volljährige, französische oder in Frankreich lebende Patienten, die an einer unheilbaren, aussichtslosen sowie physisch bzw. psychisch schmerzhaften Erkrankung leiden und bei denen das Lebensende „kurz- oder mittelfristig“ absehbar ist, soll es erlaubt werden, sich ein tödlich wirkendes Medikament verabreichen zu lassen oder es eigenständig einzunehmen. Nur Patienten, die nicht dazu in der Lage sind, dürfen sich von einer Pflegekraft oder Arzt dabei helfen lassen.

Im Laufe der Beratungen in den Ausschüssen wurden teils grundlegende Änderungen am ursprünglichen Entwurf vorgenommen. Das gilt insbesondere für den – künftig strafwürdigen – Versuch durch Dritte, den sterbewilligen Patienten von seinem Vorhaben abzubringen. Der verabschiedete Entwurf klärt auch das Verfahren zwischen Patient und Arzt: Wird dieser um Sterbehilfe gebeten, soll er nach kollegialer Absprache mit anderen Ärzten und Pflegekräften binnen zwei Wochen der Sterbehilfe zustimmen oder sie ablehnen. Alle Ärzte behalten das Recht, die Sterbehilfe aus Gewissensgründen abzulehnen. Sie sind aber gehalten, in einem solchen Fall den Patienten an einen Kollegen zu überweisen, der dazu bereit ist.

Große Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen für die Sterbehilfe

Als Präsident des „Vereins für das Recht auf ein würdiges Sterben“ (Association pour le droit de mourir dans la dignité, ADMD) spricht der praktische Arzt Dr. Jonathan Denis von einem wichtigen demokratischen Fortschritt. Er freue sich, dass Frankreich künftig zusammen mit Italien, Belgien, den Niederlanden sowie der Schweiz, Kanada und Australien Sterbehilfe erlaubt. Während Umfragen zu Folge 92 Prozent der Franzosen sich für das Recht auf Sterbehilfe aussprechen, wurde dies bis vor Kurzem von einer Mehrheit der Ärzteschaft abgelehnt.

Ende April 2025 hat dann aber das Meinungsforschungsinstitut IFOP eine Befragung im Auftrag der ADMD vorgenommen, nach der 74 Prozent der Ärzte sich heute für die Legalisierung der Sterbehilfe aussprechen würden – ein deutlicher Meinungsumschwung im Vergleich zu früheren Erhebungen. Ganz anders sehen dies die Vorstände vieler Palliativeinrichtungen und medizinischen Fachgesellschaften oder die französische Bischofskonferenz – die französische Ärztekammer zu dem Thema keine Stellung genommen.

Präsident Macron schließt Volksabstimmung nicht aus

Premier François Bayrou und Gesundheitsminister Dr. Yannick Neuder ließen in Stellungnahmen erkennen, dass sie diesem Entwurf nicht zugestimmt hätten, wenn sie noch Mitglieder der Nationalversammlung wären. Sie hoffen, dass der Senat bei seinen Beratungen die umstrittensten Teile des Gesetzentwurfs entschärfen wird. Ein Streit zwischen der beiden Parlamentskammern könnte das Gesetzgebungsverfahren völlig lahmlegen. Für diesen Fall hat Präsident Emmanuel Macron eine Volksabstimmung nicht ausgeschlossen. (DDB)

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