Zukunftsbranche Gesundheit

Viele Patientenkontakte - gute Praxis?

Deutschland gehört bei den Arztkontakten pro Patient weltweit zu den Spitzenreitern. Doch definieren sich gute Ärzte wirklich über diese Kennzahl?

Von Uwe K. Preusker Veröffentlicht:

Der 63-jährige Allgemeinarzt war gerade von einem Herzinfarkt genesen und hatte danach seine Praxis den ersten Tag wieder eröffnet. Gut 120 Patienten habe er an diesem denkwürdigen Tag gesehen - deutlich mehr als an normalen Tagen.

Da seien es, so berichtete er, rund 85 bis 90 Patienten. Er war diese Zahlen und die damit verbundene zeitliche und arbeitsmäßige Beanspruchung gewohnt - doch glücklich war er damit keineswegs.

Genau das ist es, was man immer wieder von niedergelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten hört: Ein hoher Patienten-"Durchsatz" an jedem Tag ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen einfach notwendig.

Und die Zahlen, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) gerade in ihrem Internetportal www.versorgungsatlas.de veröffentlicht hat, bestätigen: Die tatsächliche Anzahl der Arztkontakte pro Patient in Deutschland liegt im Durchschnitt bei 17,1 pro Jahr.

Ergebnis bleibt gleich: Patienten gehen oft zum Arzt

Das ZI relativiert zwar, dass nur 16 Prozent der Patienten für rund die Hälfte aller Arztkontakte in dem ausgewerteten Jahr (2007) verantwortlich sind, somit die andere Hälfte deutlich weniger Arztkontakte pro Jahr hat - das Ergebnis bleibt aber das gleiche: Deutschlands Patienten gehen oft zum Arzt oder andersherum - Deutschlands Ärzte sehen pro Tag eine große Zahl an Patienten - deutlich mehr jedenfalls, als dies in den meisten anderen OECD-Ländern der Fall ist.

Doch freiwillig nehmen die deutschen Vertragsärzte diese Last keineswegs auf sich - viele würden lieber heute als morgen die hohe Taktzahl in der Praxis verringern! Die hohe Zahl an Arztkontakten pro Patient oder an Patientenkontakten pro Arzt ist das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, der einerseits mit dem Vergütungssystem für Vertragsärzte zu tun hat.

Das nämlich hat es lange Zeit lohnenswert gemacht oder gar erfordert, dass man Patienten relativ häufig wieder einbestellte - zum Beispiel, weil bestimmte Abrechnungsziffern nicht für den gleichen Arztbesuch parallel abgerechnet werden durften oder weil nach dem Quartalswechsel der Krankenschein wieder mitgebracht werden musste.

Andererseits haben die Menschen die Verantwortung für die eigene Gesundheit immer stärker in die Hände der Ärzte gelegt - auch bei geringfügigen Gesundheitsstörungen. Selbst die Einführung der Praxisgebühr hat daran nur kurzfristig etwas geändert. Das Ergebnis sind genau die vielen Arztkontakte pro Patient, die wir heute sehen.

Grundlegende Veränderung des Honorarsystems und Stärkung der Eigenverantwortung

Der Krankenschein ist lange vergessen, und eine Einzelvergütung pro Patientenkontakt hat es in der Bundesrepublik Deutschland in Reinform faktisch nie gegeben. Stattdessen ist das Vergütungssystem mit Budgets, Kopfpauschalen und allen möglichen zusätzlichen restriktiven Maßnahmen immer stärker verfeinert worden, um steuernd auf die Ausgaben der GKV für die ambulante ärztliche Behandlung zu wirken.

Über die Anzahl der Arztkontakte dagegen hat man sich eigentlich nie Gedanken gemacht. Doch genau sie könnte eine Stellgröße sein, die zu beeinflussen sich lohnt! Möglich ist das nur langfristig. Nötig wären dazu eine grundlegende Veränderung des Honorarsystems und eine Stärkung der Eigenverantwortung der Menschen für ihre Gesundheit.

Praxisgebühren alleine schaffen das offensichtlich nicht! Aber am Ende wären beide - Patienten und Ärzte - zufriedener!

Übrigens: Der eingangs erwähnte Allgemeinarzt hat seine Praxis in ein MVZ eingebracht und arbeitet dort heute nur noch halbtags - das ist seine persönliche Lösung!

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