Junge Allgemeinärzte

Neuer EBM schreckt Nachwuchs ab

Unnötiger bürokratischer Aufwand und zusätzliche Rechtsunsicherheit für Vertragsärzte - das Urteil junger Allgemeinmediziner zum neuen Hausarzt-EBM fällt nicht gut aus.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Weil der neue EBM den Praxen eher Umsatzeinbußen und weniger Zeit für die effektive Patientenbetreuung einbringt, fordert der Verein Junge hessische Allgemeinmedizin (HESA) die Rückkehr zum bisherigen Abrechnungssystem. Mit dem neuen Reformwerk ließen sich jedenfalls keine Nachwuchsmediziner für die Niederlassung gewinnen.

Der Verein, der eine unabhängige Regionalgruppe von JADE - der Jungen Allgemeinmedizin Deutschland - ist, kann genau darlegen, wo die Schwachstellen des neuen EBM liegen. Für chronisch kranke Patienten müssten die Praxisteams nun prüfen, ob sie in den zurückliegenden vier Quartalen auch tatsächlich mit derselben Diagnose in der Praxis waren, erklärt HESA-Vorstandsmitglied Dr. Christian Haffner.

Das heißt, die ICD-Codierung darf streng genommen nicht abweichen. Was bei einem Patienten mit chronischem Rückenschmerz durchaus der Fall sein kann.

Im Praxisalltag bedeute das, dass nun bei jedem Chroniker regelmäßig geprüft werden muss, ob die Voraussetzungen für die Abrechnung der Chronikerziffer noch vorliegen. Komme die Chronikerziffer II zum Einsatz (GOP 03221) müsse zudem darauf geachtet werden, dass die Chronikerziffer I (GOP 03220) wieder gestrichen wird.

Und neue Patienten müssten wiederum befragt werden, ob sie zuvor auch regelmäßig bei ihrem vormaligen Hausarzt waren. Denn auch dann gilt: Den Chronikerzuschlag gibt es nur, wenn die geforderten drei Arzt-Patienten-Kontakte in den letzten vier Quartalen bei einem anderen Hausarzt stattgefunden haben.

Obwohl seine MFA gut im neuen EBM geschult seien, müssten nicht nur sie Zusatzaufwand bei der Dokumentation erbringen. "Wir müssen jeden Abend nachschauen", sagt Haffner. Grob geschätzt koste das den Arzt eine Stunde mehr pro Tag.

"Wir erwarten auch, dass abrechnungstechnisch die Zahl der Chroniker in unserer Praxis deutlich sinkt." Schließlich gebe es auch die Chroniker, die nur ein oder zwei Mal im Jahr in der Praxis auftauchen.

Hier sei dann der Aufwand während des Arztbesuches - um nichts zu übersehen und eine gute Versorgung zu gewährleisten - viel höher als bei den Patienten, die jedes Quartal in die Praxis kommen. Honoriert werde dies allerdings nicht.

In Hessen kommt laut Haffner aber noch eine Besonderheit hinzu: "Die Geriatrie- und Palliativziffern verschwinden komplett im RLV. Wir müssen hier aufwendige Zusatzleistungen erbringen, ohne dass wir dies vergütet bekommen."

Die Leistungen seien maximal dazu geeignet, das Regelleistungsvolumen auszuschöpfen. Dabei gebe es andere KVen, in denen diese Leistungen extra-budgetär vergütet würden. "Wir wollen, dass sich junge Ärzte niederlassen", so Haffner.

Doch unter solchen Bedingungen könne man das jungen Medizinern kaum mehr raten. "Wir wissen ja noch gar nicht, was rein betriebswirtschaftlich mit dem neuen EBM übrig bleibt." Bei HESA gehe man davon aus, dass die Praxen im Vergleich zum alten EBM einen Verlust von etwa zehn Prozent einfahren werden.

Aber auch das ist scheinbar noch nicht alles: Es geht nochmals um das Beispiel der Chronikerziffern. Haffner: "Es besteht hier durchaus ein gewisses Risiko, dass bestimmte Erkrankungen im Nachgang von den Kassen nicht anerkannt werden." Denn eine feste Liste, welche Erkrankungen nun als lebensverändernd gelten und welche nicht, gibt es derzeit nicht.

Damit könnte es passieren - so Haffner - dass Ärzte in Regress genommen werden. Nun ist das Praxisteam von Haffner eines, das konsequent und aufmerksam erbrachte Leistungen abrechnet. "Hier wartet das nächste Risiko", erklärt Haffner.

Es könnte sein - weil andere Praxen vielleicht noch mit dem neuen EBM hadern - dass die Praxis mit einem Mal über dem Fachgruppendurchschnitt liegt. "Dann fallen wir, weil wir gut abrechnen, in die Prüfung." Auch wenn der Arzt nichts zu befürchten hat, er muss sich dann erst einmal erklären - also wieder zusätzlicher Stress und zusätzliche Arbeit.

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