Reden statt Handeln

Die Bremsformel für Digital Health

Die technischen Lösungen für ein digitales Gesundheitssystem sind verfügbar. Nur: Die Leistungserbringer verharren bewusst in ihrer Rolle als Zaungäste, beobachtet unser Gastautor. Er fordert mehr Mut zur Gestaltung ein.

Von von Bertram Häussler Veröffentlicht:
Für das Smartphone gibt es schon viele digitale Gesundheitsangebote, die auch von Patienten genutzt werden.

Für das Smartphone gibt es schon viele digitale Gesundheitsangebote, die auch von Patienten genutzt werden.

© Andrey Popov / stock.adobe.com

Eigentlich könnten wir in die digitalisierte Gesundheit durchstarten. Digital affine Ärzte und Versicherte, die digitale Plattform und der Assistenzservice sind verfügbar, es braucht nur noch den Mut, sie zusammenzufügen, die Batterie anzuschließen und den Startknopf zu drücken.

Die Energie kommt entweder von der Krankenversicherung – der privaten oder der gesetzlichen – oder er kommt nicht. Nur die Versicherer sind in der Lage, ihren interessierten Kunden ein digitales Versorgungsprodukt anzubieten. Die privaten Versicherungen haben hierfür viele Freiheiten.

Beim PKV-Anbieter Ottonova kann man bereits sehen, was möglich ist. Aber auch die gesetzlichen Krankenkassen haben genug Spielraum: Sie können ihren Versicherten einen Wahltarif nach Paragraf 53 SGB V anbieten und den Vertragsärzten einen Vertrag nach Paragraf 140 a SGB V.

Kassen auf dem Weg

Mehrere Kassen haben sich auch schon auf den digitalen Weg gemacht. Sie haben sich kompetente Hilfe geholt oder sich auch schon mal mit der PKV zusammengetan. Inmitten der rigiden Paragrafenwelt des SGB V haben sie sich getraut, für ihre Versicherten Plattformen zur digitalen Ablage gesundheitsrelevanter Daten zu entwickeln. Und, siehe da, es geht.

Die elektronische Gesundheitskarte bleibt nutzlos in der Brieftasche, das Smartphone ermöglicht Ein- und Ausgabe der Informationen. Alles Mögliche lässt sich daran anstöpseln, vom Fitnesstracker bis zur Diabetes-App. Selbst KI wird schon angeboten. Man kann ihr die Beschwerden schildern und dann einen Arzt sprechen.

So entsteht eine digitale Welt für die Patienten, aber noch kein digitales Gesundheitssystem, weil die Leistungserbringer Zaungäste sind – und Zaungäste sein wollen. Sie dürfen mal reinschauen, aber sie müssen nicht und vielfach sehen sie auch nicht ein, warum sie das tun sollten, weil es (noch) keine Bezahlung fürs Digitale gibt.

Ohne die Integration der Leistungserbringer – der Ärzte, Krankenhäuser und zahlreicher anderer unverzichtbarer Fachkräfte – kommt Deutschland nicht über den vorletzten Platz hinaus, den es derzeit im europäischen Ranking der Digitalisierung einnimmt.

Obwohl man nun erlebt hat, dass mit etwas Energie und vielleicht einer gewissen Toleranz des Bundesgesundheitsministeriums Sichtbares getan werden kann, kann sich das Land in dieser Angelegenheit nicht davon befreien, das SGB V als Blaupause zu benutzen.

Im April 2019 soll in Kraft treten, was längst überfällig ist: Die Monopolstellung der eGK wird gekippt, auf ihre Daten sollen Patienten endlich auch mit dem Smartphone zugreifen können – sicher natürlich.

Gleichzeitig haben die Krankenkassen quasi das Monopol für die elektronische Patientenakte erhalten. Obwohl die Bundesregierung noch im Juli verkündet hatte, dass „Anbieter von elektronischen Patientenakten innovative Lösungen entwickeln und im freien Wettbewerb in den Markt bringen“ können, scheint sie sich von dieser ordnungspolitischen Herausforderung im Zuge der spätsommerlichen Verhandlungen befreit zu haben.

Google, Apple, Amazon und andere sind damit aus dem Zentrum des Geschehens in der GKV verbannt, es sei denn, sie eröffnen eine Krankenkasse.

Moderation erforderlich

Auch wenn Kostenträger und Leistungserbringer nunmehr in einem „Letter of Intent“ verkünden konnten, wie sie sich die weitere Entwicklung aufteilen, scheint noch immer keine Freude aufzukommen.

Die gematik, die vielen 15 Jahre lang als Bremser galt, hat das Mandat für die „Architektur“ behalten, obwohl viele Gründe dafür sprechen, die Standardisierung durch einen offenen Prozess zu gestalten, wie er auf zahlreichen anderen Feldern zu finden ist. Auch wenn die gematik nunmehr bis Ende Dezember hierzu ein Dokument veröffentlichen soll, gibt es in der Szene kaum jemanden, der weiß, wozu dieses Dokument etwas aussagen soll.

„Räume eng machen, Anwendungen begrenzen, nur ja nicht zu viel zulassen“, so AOK-Chef Martin Litsch kürzlich in einer Diskussionsrunde. Ärzte, Kassen, gematik, Bundesgesundheitsministerium: Jeder erzählt eine andere Geschichte in einer anderen Sprache. Hier fehlt ein Moderator, ein Übersetzer, ein Neutraler, der das Mandat der Politik hat.

Es scheint so unendlich kompliziert, obwohl Litsch das ausspricht, was sein könnte: „Wir wissen alle, was wir tun müssten“. Dies provoziert die Frage: „Warum tut Ihr es denn nicht?“

Professor Bertram Häussler ist seit 2006 Vorsitzender der Geschäftsführung des Berliner IGES Instituts.

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