Tor zur Außenwelt

Wie Avatare Schwerkranke vor Isolation bewahren

In der Schule oder im Freundeskreis als schwer kranker Teenager nichts verpassen – diese Teilhabe erlaubt digitale Technologie, die auf Avatare setzt. Eine Kasse probiert das Alter Ego der Patienten aus.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Auf Sendung? Der Avatar kann mit Zustimmung der Betroffenen zugeschaltet werden.

Auf Sendung? Der Avatar kann mit Zustimmung der Betroffenen zugeschaltet werden.

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KIEL. Torben Hahn ist ein kontaktfreudiger Teenager mit Krebs. Neben der Erkrankung und ihren gesundheitlichen Folgen macht ihm zu schaffen, dass er über einen längeren Zeitraum weder seine Freunde treffen noch in der Schule sein kann. Damit er dennoch ab und zu sozial teilhaben kann, schickt Torben einen Stellvertreter: Ein Avatar kann immer dann eingeschaltet werden, wenn Torben und die Umgebung, an der er teilhaben möchte, damit einverstanden sind.

Torben sieht und hört über den 20 Zentimeter großen Computer, was dort los ist, wo eine Freundin von ihm den Avatar aufstellt. Torben verbindet sich über eine App auf Handy oder Tablet, meldet sich über eine persönliche PIN-Nummer an und steuert die Bewegungen seines Avatars.

So kann er bestimmen, was er an dem Ort sehen möchte, wo er wegen seiner Erkrankung nicht sein kann. Dies erlaubt ihm, mit den dort anwesenden Personen zu sprechen und umgekehrt – nur er kann nicht gesehen werden. Wenn er etwas sagen möchte, blinken beim Avatar Lampen und signalisieren damit der Umgebung, dass er sich am Gespräch beteiligen möchte.

Gegen Ausgrenzung und Isolation

Der krebskranke Jugendliche aus Schleswig-Holstein ist ein Pionier. In einem Gemeinschaftsprojekt erproben die Krebsgesellschaft und die Techniker Krankenkasse (TK) Schleswig-Holstein den Einsatz dieser in Norwegen entwickelten Avatare. Die TK hat fünf der rund 4000 Euro teuren Computer angeschafft, um den Betroffenen die Teilhabe am sozialen Umfeld zu ermöglichen.

„Kinder und Jugendliche nehmen als Folge ihrer Erkrankung Ausgrenzung und Isolation viel stärker wahr als Erwachsene“, begründet Professor Peter Dohrmann aus dem Vorstand der Krebsgesellschaft die Anschaffung.

Die Gesellschaft koordiniert, welche Kinder und Jugendlichen zu welchen Zeitpunkten einen Avatar zur Verfügung gestellt bekommen, kümmert sich vor Ort um die Einstellung und versorgt die Betroffenen bei Bedarf mit einem Tablet, auf dem sie Bild und Ton empfangen können. Technische Voraussetzung ist funktionsfähiges WLAN. Kliniken, die Patienten mit Interesse daran haben, können sich an die Krebsgesellschaft wenden.

TK könnte Angebot ausbauen

Schleswig-Holsteins TK-Chef Dr. Johann Brunkhorst hält die Anschaffung der fünf Avatare nur für den Anfang. „Wenn wir gute Erfahrungen machen, kann ich mir vorstellen, dass die TK das Angebot auf andere Bundesländer ausdehnt“, sagte Brunkhorst. Er betont, dass die Avatare von Betroffenen unabhängig von deren Kassenzugehörigkeit genutzt werden können.

Finanzieren kann die Kasse die Avatare als kassenindividuelles Selbsthilfeprojekt – das soll über das Terminservice- und Versorgungsstärkungsgesetz (TSVG) künftig nicht mehr möglich sein. Brunkhorst nutzte deshalb die Vorstellung des ersten Avatars im Norden für einen Appell an die Bundestagsabgeordneten, diese Möglichkeit nicht einzuschränken.

Während in Deutschland erst jetzt die ersten Avatare getestet werden, arbeitet man in Norwegen, Großbritannien und den Niederlande schon länger damit. Insgesamt sind in diesen Ländern 800 Geräte im Einsatz. Christian Matzen von der Firma No Isolation, die die Avatare vertreibt, nennt den Datenschutz in allen Ländern als größte Hürde.

Daten werden nicht aufgezeichnet

Insbesondere für einen der wichtigsten Einsatzorte, die Schule, ist dies ein Problem. Die Gespräche mit dem Kieler Bildungsministerium und dem Unabhängigen Landeszentrum für den Datenschutz, ob und wie die Avatare im Unterricht eingesetzt werden können, laufen derzeit noch. Fest steht, dass die vom Avatar gesendeten Daten nicht aufgezeichnet werden können – die Übertragung erfolgt nur in Echtzeit.

Dr. Denis Martin Schewe aus der Pädiatrie des UKSH ist ungeachtet der noch bestehenden Hürden überzeugt, dass der Avatar Torben und anderen erkrankten Kindern und Jugendlichen helfen wird: „Die Isolation ist für die Betroffenen ein großes Problem und der Avatar kann es lösen.“

Torbens Vater Torsten Hahn ist zwar froh, dass der Avatar auch im Freundeskreis eingesetzt werden kann, setzt aber auf erfolgreiche Gespräche im Bildungsministerium: „Im Vordergrund steht der Wunsch, den Avatar in der Schule einsetzen zu können.“

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