Der Standpunkt

Die stille Form der Rationierung

Valide Informationen zur Situation bei Arzneimittelregressen sind nur schwer zu bekommen. Diese Intransparenz ist gewollt, um Vertragsärzte in ihrem Verordnungsverhalten zu disziplinieren. Die Ärzte aber werden in ihrer Angst vor Regressen im Schraubstock zwischen den politischen Vorgaben und dem Anspruch der Patienten auf eine Behandlung nach Therapiestandard allein gelassen, meint Hauke Gerlof.

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Der Autor ist stellv. Chefredakteur und Ressortleiter Wirtschaft der "Ärzte Zeitung". Schreiben Sie ihm: hauke.gerlof@springer.com

Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten versuchen Politiker nahezu aller Parteien, die Menge der verordneten Arzneimittel mit Hilfe von Panikmache und Psychodruck auf Vertragsärzte zu steuern. Ein Mittel dazu ist ein Mangel an Transparenz darüber, wen es trifft - und in welcher Höhe.

So brachte zuletzt selbst die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Grünen-Fraktion zu Arzneiregressen kaum valide Informationen. Es gab einige Zahlen, die darauf hindeuten, dass weniger als ein Prozent der verordnenden Ärzte tatsächlich von Regressen betroffen sind, wobei im Durchschnitt 30.000 Euro vor Beginn des Beschwerdeverfahrens gefordert werden.

Wieviel die betroffenen Ärzte am Ende tatsächlich gezahlt haben, darüber gab es keine Auskunft.

Diese Intransparenz ist Teil des Systems. Dahinter steht letztlich eine Politik des Misstrauens, auch von KVen und KBV ihren eigenen Mitgliedern gegenüber. Das Bedrohungspotenzial durch Regresse wird aufgebaut - in der Annahme, dass dadurch das Verordnungsverhalten der Ärzte diszipliniert wird. Dass die Bedrohung nichts als ein Papiertiger ist, das sollen die Betroffenen gar nicht wissen.

Doch der einzelne Arzt wird mit seiner Angst im Schraubstock zwischen Politik und dem zivilrechtlichen Anspruch des Patienten auf eine Behandlung nach Therapiestandard - also nach den geltenden Leitlinien - allein gelassen.

Und wer schon einmal ein Regressverfahren am Hals hatte, der weiß, wie hoch der Aufwand ist, nachzuweisen, dass die eigenen Verordnungen medizinisch indiziert und wirtschaftlich waren. Wer nicht auffällig werden will, wählt den Weg der stillen Rationierung.

Dass die gefühlte Bedrohung inzwischen so weit reicht, dass Jungärzte davor zurückschrecken, sich niederzulassen, hat die KBV-Spitze mittlerweile erkannt und fordert deshalb, dass die Regresse endgültig vom Tisch kommen.

Die Formel "Beratung vor Regress" aus dem Versorgungsstrukturgesetz ist noch keine Lösung. Doch auch das ABDA/KBV-Modell mit dem Medikationskatalog und letztlich der Aufgabe der ärztlichen Therapiehoheit verspricht keine nachhaltige Remedur.

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