So lassen sich Therapiemuffel motivieren

Ärzte können Patienten, die verschriebene Arzneimittel nicht regelmäßig einnehmen, oft mit ganz einfachen Mitteln motivieren. Das sagen zwei Bonner Pharmazeuten - und verraten, wie es klappt.

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Vor allem bei älteren Patienten scheitert die Compliance auch schon mal an der Vergesslichkeit.

Vor allem bei älteren Patienten scheitert die Compliance auch schon mal an der Vergesslichkeit.

© Andrew Bassett / shutterstock

BONN. Über eine Milliarde Euro soll es die deutsche Volkswirtschaft im Jahr kosten, dass Patienten die verschriebenen Arzneimittel zwar in der Apotheke abholen, sie dann aber nicht einnehmen oder einfach entsorgen.

Mangelnde Compliance kann also nicht nur den Erfolg einer Arzneimitteltherapie schmälern oder verhindern, sondern ist auch richtig teuer.

Umso wichtiger für Hausärzte, vor allem ihre chronisch kranken Patienten bei der Medikamenteneinnahme zu unterstützen - und zwar nicht nur einmal, beim Verschreiben eines neuen Medikaments, sondern kontinuierlich, so Linda Krolop und Professor Ulrich Jaehde vom Bereich Klinische Pharmazie der Universität Bonn (Internist 2012, DOI 10.1007/s00108-011-2951-z).

Dieser Einsatz lohnt sich meistens. Die beiden Wissenschaftler haben dazu einige konkrete Vorschläge.

Der erste Schritt ist natürlich die Edukation, die mündliche und schriftliche Aufklärung und Beratung. Selbst Informationen, die den behandelnden Ärzten trivial erscheinen, müssen weitergegeben werden.

Auch so einfache Hinweise, wie etwa Nasensprays vor Gebrauch zu schütteln und sich vor der Applikation zu schnäuzen.

Manchmal ist es sinnvoll, sich das vom Patienten vorführen zu lassen, ob er zum Beispiel wirklich einatmet, wenn er aus dem Asthmaspray inhaliert, und nicht etwa ausatmet und der Hub nur in die Luft gesprüht wird.

Dosisangaben müssen konkret, exakt und unmissverständlich kom-muniziert werden. Dabei sollten nicht eindeutige Abkürzungen vermieden werden: ml (Milliliter) kann zum Beispiel leicht mit ML (Messlöffel) verwechselt werden.

Die Medikamenteneinnahme muss Teil des Alltags werden

Um vergessliche Patienten an die Einnahme ihrer Medikamente zu erinnern und so der "zufälligen NonCompliance" entgegenzuwirken, gibt es einige Möglichkeiten: Es können Erinnerungskarten an markante Stellen der Wohnung geheftet werden, Wecker können gestellt werden, Angehörige können einbezogen werden, oder die Einnahme wird mit täglichen Routinehandlungen wie Zähneputzen oder der Tagesschau im Fernsehen verknüpft ("cue dosing").

Auch Patiententagebücher oder Arzneidosetten können helfen, das Verhalten der Patienten zu beeinflussen. Die dritte Maßnahme zur Förderung der Compliance ist das Monitoring. Denn schon die regelmäßige Kontrolle der Zielparameter kann die Patienten motivieren, ihre Arzneien regelmäßig einzunehmen.

Gibt es Hinweise, dass therapiebedingte Faktoren hinter der mangeln-den Compliance stecken, muss selbstverständlich die Therapie angepasst werden. Retard- oder Kombipräparate oder eine andere Vereinfachung des Therapieschemas können dann helfen.

Die Bonner Pharmazeuten weisen in dem Zusammenhang darauf hin, dass nur möglichst selten halbe oder geviertelte Tabletten verordnet werden sollten. Oft sei unklar, ob die Tabletten überhaupt leicht geteilt werden können.

Und dann ist das Teilen auch mit den besten Hilfsmitteln vor allem für alte Menschen schwierig. Also lassen sie es eben ganz bleiben. Damit schwindet nicht nur die Therapietreue, sondern auch das Vertrauen in die Therapie - und möglicherweise das in den Arzt.

Und schließlich gilt es bei der Förderung der Compliance die "Forgiveness" der Arzneimittel zu bedenken, also das Vermögen eines Arzneistoffs, das Auslassen einer Dosis oder mehrerer Dosen hintereinander ohne Verlust der therapeutischen Wirksamkeit zu "vergeben", erklären Krolop und Jaehde.

Manchmal hilft die "Forgiveness" der Arzneien

Hinter diesem Konzept steckt also die Wirkdauer eines Arzneimittels über das verschriebene Dosierungsintervall hinaus, entweder weil ein Arzneistoff im Körper kumuliert und nur allmählich freigegeben wird, weil eine sehr lange Eliminationshalb-wertszeit vorliegt oder weil es einen verzögerten Effekt bezogen auf die Plasmakonzentration gibt.

So hat Omeprazol zum Beispiel trotz einer kurzen Plasmahalbwertszeit von einer halben bis einer Stunde mit drei bis fünf Tagen eine außerordentlich lange Wirkungsdauer. Zurückzuführen sei das auf die irreversible Inaktivierung der "Protonenpumpe".

Für die Praxis wäre es sehr hilfreich, hierzu noch viel mehr zu wissen, regen die Wissenschaftler an. Denn dann könnte man bei Patienten, von denen man vermutet oder weiß, dass sie zur Non-Compliance neigen, vor allem Arzneistoffe mit hoher Forgiveness einsetzen.

Relativ einfache Mittel können also viel bringen und die Compliance deutlich fördern, wie immer wieder in Studien gezeigt wird. Wichtig ist jedoch, dran zu bleiben. Denn man kann sich nicht darauf verlassen, dass der positive Effekt, den man etwa durch Aufklären einmal erzielt hat, auch automatisch anhält.

Immer wieder mal hat man es aber mit Patienten zu tun, die der verordneten Pharmakotherapie derartig ablehnend gegenüberstehen, dass alle Maßnahmen zur Förderung der Compliance an ihre Grenzen stoßen.

Dann können eventuell noch Psychologen weiterhelfen. Krolop und Jaehde sehen das ganz pragmatisch: Voraussetzung ist natürlich, über alle Konsequenzen der Therapie aufzuklären. Bleibt der Patient bei seiner ablehnenden Haltung, muss diese respektiert werden.

Schließlich ist ein mündiger Patient für sich selbst verantwortlich. Dann sollten die ohnehin knappen zeitlichen Ressourcen auf jene Patienten konzentriert werden, bei denen die Maßnahmen eher Erfolg versprechend sind.

Lesen Sie dazu auch: Die Anzeichen von Non-Compliance

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