"Es ist realitätsfern, die Verbindung ins Netz zu kappen"

Das BKA-Gesetz soll noch in dieser Woche verabschiedet werden. Können Ärzte jetzt noch mit Patientendaten online gehen? Darüber sprachen wir mit dem Arzt und Juristen Professor Christian Dierks.

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"Ärzte werden Berufsgeheimnisträger zweiter Klasse." Professor Christian Dierks Arzt und Rechtsanwalt in Berlin

Ärzte Zeitung: Herr Professor Dierks, Sie sind Arzt und Rechtsanwalt. Wenn Sie eine Arztpraxis hätten: Würden Sie dann auch nach Verabschiedung des BKA-Gesetzes mit Ihrer Praxis-EDV noch online gehen?

Professor Christian Dierks: Es ist wohl realitätsfern, wegen des Gesetzes die Verbindung ins Netz zu kappen. Was wäre die Alternative? Doch allenfalls ein Zwei-Rechner-Betrieb, der sich für ein Online-Patienten-Management nicht durchhalten lässt. Bei aller Kritik am BKA-Gesetz darf nicht vergessen werden, dass die Voraussetzungen für Online-Durchsuchungen sehr hoch sind. Nur wenn Lebensgefahr für eine Person besteht oder Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates berühren, betroffen sind, darf die OnlineDurchsuchung eingesetzt werden. Mit diesen strengen Anforderungen wird dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen.

Mir bereitet mehr Sorge, dass nach Konzeption des Gesetzes das Arztgeheimnis nur noch abgeschwächt gelten und je im Einzelfall entschieden werden soll, ob das Zeugnisverweigerungsrecht einer Online-Durchsuchung entgegensteht oder nicht. Das für die ärztliche Tätigkeit erforderliche Vertrauensverhältnis zum Patienten setzt aber voraus, dass das Arztgeheimnis umfassend gilt. Ärzte werden durch das BKA-Gesetz zu Berufsgeheimnisträgern zweiter Klasse degradiert. Ich halte dies für eine besorgniserregende Entwicklung.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet die Entwicklung für ein Projekt wie die elektronische Gesundheitskarte (eGK)?

Dierks: Das bedeutet, dass die Kommunikation über die Karte dem potenziellen Online-Zugriff nicht entzogen werden kann. Die Systeme können keine Insellösungen mehr sein. Zumindest der obligate Inhalt der Datenübertragung in das GKV-Verordnungssystem wäre dann unter den, wenn auch engen, Voraussetzungen des Gesetzes, zugänglich. Die Akzeptanz der eGK hängt aber doch gerade davon ab, dass der Schutz der Strafprozessordnung nicht wieder verwässert wird. Er ist doch gerade, wie 2004 von uns vorgeschlagen, auf die eGK und daran anknüpfende Systeme erweitert worden.

Ärzte Zeitung: Wie sieht die Rechtslage heute aus? Wie sicher ist das Arztgeheimnis vor Zugriffen des Staates?

Dierks: Das Arztgeheimnis ist insofern geschützt, als grundsätzlich keine Patientenunterlagen beschlagnahmt werden dürfen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Inhalte auf Papier oder elektronisch gespeichert sind. Es wäre ja sinnlos, wenn der Arzt zwar schweigen dürfte, aber seine Unterlagen nicht geschützt wären. Hierzu gilt der Merksatz: "Was der Mund nicht zu offenbaren braucht, darf der Hand nicht entrissen werden." Aber schon heute ist es etwa möglich, dass ein Telefongespräch zwischen Arzt und Patient abgehört wird und die gewonnenen Erkenntnisse etwa in einem Strafprozess genutzt werden. Ausnahmen bestehen auch, wenn der Arzt in den Verdacht gerät, selber eine Straftat begangen zu haben.

Ärzte Zeitung: Welche Befugnisse werden Ermittlungsbehörden haben, wenn das Gesetz in Kraft tritt, und wo betrifft das Arztpraxen direkt?

Dierks: Das BKA-Gesetz enthält neue Überwachungsmöglichkeiten wie die Online-Durchsuchung. Hier darf das BKA bei Vorliegen bestimmter Verdachtsmomente eine Schadsoftware, den "Bundestrojaner", auf dem Zielcomputer anbringen - auch auf dem eines Arztes! Besonders problematisch erscheinen mir hier zwei Dinge: Zum einen lässt sich dem Gesetz gar nicht entnehmen, wie die Software auf den Computer kommt. Denkbar ist also sogar, dass die Ermittler dafür heimlich in die Räume der Arztpraxis eindringen, wenn ein Online-Zugriff nicht möglich ist. Und zum anderen ist nicht ersichtlich, wie bei einer Online-Durchsuchung die Daten unbeteiligter und unverdächtiger Patienten geschützt bleiben.

Ärzte Zeitung: Kann ein Richtervorbehalt für Online-Durchsuchungen, wie er jetzt angedacht ist, genügen, um das Vertrauen von Ärzten und Patienten zu erhalten?

Dierks: Natürlich ist es besser, wenn eine Online-Durchsuchung nicht einfach vom BKA durchgeführt wird, sondern wenn diese höchst sensible Ermittlungsmaßnahme vom Richter angeordnet werden muss. Allerdings muss gewährleistet sein, dass der Richter gründlich prüft, ob die Voraussetzungen für eine Online-Durchsuchung auch wirklich vorliegen. Es gibt Berichte, wonach im Bereich der Telekommunikationsüberwachung Richter nicht selten kaum selber prüfen, ob das Abhören im Einzelfall wirklich gerechtfertigt ist. Ich habe Verständnis für die Befürchtung, dass der Richtervorbehalt keine ausreichende Begrenzung von Online-Durchsuchungen gewährleistet.

Ärzte Zeitung: Immer wieder wird gesagt, eine Konsequenz des Gesetzes sei, dass die sichere Datenverschlüsselung Makulatur werde, weil der Staat immer das Recht hat, die Daten einzusehen. Würden Sie unter diesen Bedingungen als Patient Online-Gesundheitsakten anlegen?

Dierks: Die Nutzung von gesundheitstelematischen Anwendungen, wie etwa auch der eGK, kann nur funktionieren, wenn Patienten und Ärzte Vertrauen in die Sicherheit haben. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die erweiterte Interpretation der Grundrechte, die das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Online-Durchsuchung entwickelt hat und die auf den Schutz dieses Vertrauens zielt: Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. In das Arzt-PatientenVerhältnis darf auch der Staat nicht eindringen. Die Speicherung von Patientendaten auf sektorübergreifenden Gesundheitsakten muss deshalb ohne eine Hintertür für den Zugriff des Staates erfolgen.

Ärzte Zeitung: Welche Konsequenzen hätte das für Arztverbünde, die schon heute mit Netzakten arbeiten?

Dierks: Wenn das Parlament das Gesetz so verabschiedet, müssen wir die Eingriffsmöglichkeit wohl in Kauf nehmen. Aber es bleibt den Betreibern von Netzakten unbenommen, erweiterte Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, was auch im Hinblick auf Angriffe nichtberechtigter Dritter sinnvoll ist. Ein technisches "Hochrüsten" gegen die staatliche Exekutive mutet aber doch befremdlich an. Ein Vorteil bleibt: Erhöhte IT-Sicherheit ist immer auch ein gutes "selling argument" für Netze.

Das Interview führte Hauke Gerlof.

Zur Person

Professor Christian Dierks ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Fachanwalt für Sozialrecht. Der Mitbegründer der Rechtsanwaltskanzlei Dierks & Bohle in Berlin ist u. a. auf Telemedizin und GKV-Recht spezialisiert.

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