Ist die Erbschaftsteuer verfassungswidrig?
Der Bundesfinanzhof rügt eine bestimmte Regelung, womit die Erbschaft- und Schenkungssteuer umgangen werden kann.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Der Bundesfinanzhof (BFH) in München hat offenbar massive verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich der Erbschaftsteuer. Mit einem jetzt veröffentlichten Beschluss forderte der BFH das Bundesfinanzministerium auf, einem Verfahren beizutreten, um verfassungsrechtliche Fragen zu klären.
Umwandlung des Vermögens
Auf dem Prüfstand stehen dabei insbesondere die Möglichkeiten, durch Umwandlung von Vermögen in ein Unternehmen die Erbschaftsteuer oder auch die Schenkungssteuer zu umgehen.
In dem Fall ist der Kläger zu einem Viertel Miterbe eines im Januar 2009 verstorbenen Onkels. Sein Anteil am Nachlass betrug 51.266 Euro. Das Finanzamt zog hiervon den Freibetrag von 20.000 Euro ab und forderte vom Rest Erbschaftsteuer in Höhe von 30 Prozent - 9.360 Euro.
Vor dem BFH verlangt der Erbe, die Steuer zu halbieren. Er kritisiert, dass er als Neffe im Jahr 2009 dem gleichen Steuersatz unterlag wie nicht verwandte Fremde. Ab 2010 wurde dies gesetzlich korrigiert; der Neffe müsste danach mit 15 Prozent nur noch die Hälfte der von ihm geforderten Steuern bezahlen.
Verpflichtungen für das Gemeinwohl - Erhalt von Arbeitsplätzen
Zusätzlich warf nun der BFH selbst die Frage auf, ob das Gesetz auch in seiner heutigen Fassung mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren ist. Denn es sei möglich, die Erbschaft- und auch die Schenkungssteuer durch "eine geeignete Gestaltung" zu umgehen. Dabei sei es nicht erforderlich, dass der Erbe im Gegenzug Verpflichtungen für das Gemeinwohl eingeht, etwa den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Die kritisierte Regelung geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer zurück (Az.: 1 BvL 10/02, 1 BvL 2/04, 1 BvL 12/07). Danach soll es vermieden werden, dass Erben eines Betriebes diesen zerschlagen oder verkaufen müssen, um die Erbschaftsteuer bezahlen zu können.
Die deswegen geschaffenen Vergünstigungen von Unternehmens-Erben wurden nach Einschätzung von Experten in großem Stil ausgenutzt, indem Erblasser noch vor ihrem Tod ihr Vermögen in die Form eines Unternehmens umgewandelt haben, ohne dadurch aber Arbeitsplätze zu schaffen.
Bindung der Vergünstigungen an Erhalt von Arbeitsplätzen nicht gelungen
Der BFH hatte bereits in früheren Entscheidungen die Möglichkeiten kritisiert, "durch bloße Rechtsformwahl Steuervergünstigungen bei der Erbschaftsteuer und der Schenkungsteuer zu erreichen". Auch im derzeitigen Recht sei aber die Bindung der Vergünstigungen an den Erhalt von Arbeitsplätzen nicht gelungen, rügen nun die obersten Finanzrichter.
In dem aktuellen Beschluss gibt der BFH auch Beispiele, wie die Umgehung funktioniert. So kann der Erblasser vor seinem Tod sein Vermögen in eine "GmbH A" einbringen, die das Vermögen dann an eine ebenfalls ihm selbst gehörende "GmbH B" verkauft und dabei aber den Kaufpreis stundet.
Stirbt nun der Erblasser, fallen auf beide GmbHs keine Erbschaftsteuern an. "GmbH B" bleibt steuerfrei, weil ihr Wert Null ist - denn dem Wert des eingelegten Vermögens steht eine Kaufpreisforderung in gleicher Höhe gegenüber.
Verfassungswidrig oder nicht?
Auch "GmbH A" kann steuerfrei vererbt werden, denn Geldforderungen eines Unternehmens werden nach geltendem Recht von der Erbschaft- und auch von der Schenkungssteuer nicht erfasst.
Der BFH kann die kritisierten Gesetze nicht selbst für verfassungswidrig erklären. Kann das Bundesfinanzministerium die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht ausräumen, werden die Münchner Richter den Streit daher dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen.
Bis dahin könnte es sich lohnen, gegen Erbschaft- oder auch Schenkungssteuerbescheide Widerspruch einzulegen und ein Ruhen des Verfahrens bis zu einer abschließenden rechtlichen Klärung zu beantragen.
Az.: II R 9/11