Baden-Württemberg

Wider den Aderlass im Öffentlichen Gesundheitsdienst

Um vakante Stellen in Gesundheitsämtern zu besetzen, geht die Landesregierung in Baden-Württemberg neue Wege: Sie will die strikten Vorgaben bei Facharztqualifikationen lockern.

Von Florian Staeck Veröffentlicht:
Kundgebung von ÖGD-Ärzten im Oktober 2018 in Fellbach (Baden-Württemberg).

Kundgebung von ÖGD-Ärzten im Oktober 2018 in Fellbach (Baden-Württemberg).

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Stuttgart/Tübingen. Baden-Württemberg will den Öffentlichen Gesundheitsdienst und die Wissenschaft enger verzahnen und hat dafür das Zentrum für Öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung (ZÖGV) an der Universität Tübingen gestartet.

Die Einrichtung wird gemeinsam getragen durch die Institute für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung und das für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung in Tübingen.

Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) äußerte beim Gründungssymposium in Tübingen Anfang Oktober die Hoffnung, das neue Zentrum könne dazu beitragen, „Studierende für das interessante und vielseitige Aufgabengebiet des ÖGD zu gewinnen“.

Jeder vierte ÖGD-Arzt ist über 65

Das ist auch dringend nötig, denn den Gesundheitsämtern droht in naher Zukunft schon demografisch ein weiterer Aderlass: Jeder vierte ÖGD-Arzt ist 60 Jahre oder älter, 45 Prozent der ärztlichen Belegschaften in den Gesundheitsämtern sind zwischen 50 und 59 Jahre alt – und nur sieben Prozent zwischen 30 und 39. Das geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der SPD im Landtag hervor.

Von den landesweit 406,5 Arztstellen des höheren Dienstes waren im September 61 unbesetzt. 20 der unbesetzten Stellen haben einen „kw“-Vermerk (künftig wegfallend) und sind nach dem Asylgesetz für die Arbeit in Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber geschaffen worden.

Die Suche nach Kandidaten für die verbleibenden 41 freien Stellen gestaltet sich zäh, gibt die Landesregierung zu. Teilweise sind die Posten schon seit dem Vorjahr unbesetzt. Die Personalgewinnung sei schwierig, weil die Vorzüge der Arbeit im ÖGD – etwa flexible Arbeitszeiten, frei gestaltbare Teilzeit – mittlerweile auch in Kliniken und anderen Einrichtungen angeboten würden, heißt es.

Mehr Spielraum bei Nachbesetzung

Deshalb prüft das Land „intensiv“, welche Aufgaben in Gesundheitsämtern auch durch andere Berufsgruppen wahrgenommen werden können. Als Stichworte dazu werden „Kinder- und Jugendgesundheit, Gesundheitsplanung und Gesundheitsschutz“ genannt. Wenn nicht ausschließlich medizinische Expertise gefordert ist, werden in Gesundheitsämtern inzwischen verstärkt Biologen, (Lebensmittel-)Chemiker oder Gesundheitswissenschaftler eingesetzt.

„Im Raume“ steht auch, starre Vorgaben für Facharztqualifikationen aufzubohren und den Weiterbildungen Öffentliches Gesundheitswesen, Psychiatrie und Kinder- und Jugendmedizin gleichzustellen. „Dies führte zu mehr Spielräumen bei der Besetzung von Funktionsstellen“. Insbesondere wird geprüft, ob diese Stellen auch mit Fachärzten für Innere Medizin und Allgemeinmedizin besetzt werden könnten.

Vergütungslücke zwischen Ärzten und ÖGD

Was dann immer noch bleibt, ist die Vergütungslücke zwischen Ärzten und ÖGD und ihren Kollegen im Krankenhaus. Denn Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen fallen bis dato nicht unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags für Ärzte an Unikliniken (TV-Ärzte).

Dem Land sind hier die Hände gebunden, denn es kann den Geltungsbereich des TV-Ärzte nicht eigenmächtig erweitern. Hier verhandeln für Baden-Württemberg die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) sowie der Marburger Bund.

Hoffnung keimt an anderer Stelle: Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) einigte sich im Mai mit dem Marburger Bund darauf, dass die VKA die Verhandlungen auch für Ärzte im ÖGD „ergebnisoffen“ führen wird. Bis spätestens Ende dieses Monats sollen die Gespräche starten.

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