"Politik darf Pflegenotstand nicht verschlafen"

Seit Oktober 2009 führt Andreas Westerfellhaus, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege, den Deutschen Pflegerat als Präsident an. Die "Ärzte Zeitung" sprach mit ihm - über Pflegenotstand, die Neuverteilung von Aufgaben und den Nutzen einer Pflegekammer für Schwester Ines.

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"Eine Greencard für ausländische Pflegekräfte löst das Kernproblem nicht." (Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates, DPR, und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege, DGF) © DPR

"Eine Greencard für ausländische Pflegekräfte löst das Kernproblem nicht." (Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates, DPR, und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege, DGF) © DPR

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Ärzte Zeitung: Herr Westerfellhaus, Deutschland diskutiert über Ärztemangel und was dagegen zu tun ist. Wie erleben Sie die Debatte?

Andreas Westerfellhaus: So berechtigt die Sorgen um einen Ärztemangel auch sein mögen: Die Politik darf nicht übersehen, dass auch die professionelle Pflege große Sorgen plagt. Auch hier fehlt es an qualifiziertem Personal. Und das Problem wird sich weiter zuspitzen, da der Bedarf an Pflegeleistungen wächst. Die Koalition darf den Pflegenotstand nicht verschlafen.

Ärzte Zeitung: Der Arbeitgeberverband Pflege hat eine Greencard für Ausländer vorgeschlagen, um so personelle Engpässe in der Pflege zu beseitigen. Ein guter Vorschlag?

Westerfellhaus: Vor Jahren war das ja schon Thema. Damals wie heute sagen wir: Die Greencard für ausländische Pflegekräfte löst das Kernproblem nicht: die schlechten Arbeitsbedingungen, die Pflegende vorfinden. Es gibt genügend junge Menschen, die in die Pflege gehen würden, aber die Arbeitsbedingungen schrecken ab. Zudem bezweifele ich, ob Fachkräfte überhaupt nach Deutschland kommen. All unsere Nachbarn bieten weitaus bessere Bedingungen als wir.

Ärzte Zeitung: Muss es immer eine examinierte Pflegekraft sein?

Westerfellhaus: Nicht unbedingt, es kommt auf die jeweilige Tätigkeit an. Ich warne aber davor zu meinen, wir könnten mit Hilfskräften, Schwiegertöchtern und ein paar ehrenamtlich engagierten Nachbarn die anspruchsvolle Aufgabe der Pflege bewältigen. Um einen demenzkranken 82-jährigen Mann zu pflegen, der zudem an Diabetes und Hypertonie leidet, brauchen Sie bestimmte Fachkenntnisse, die nur eine examinierte Pflegekraft mitbringt. Alles andere wäre fahrlässig.

Ärzte Zeitung: Und die dann auch perfekt Deutsch sprechen muss?

Westerfellhaus: Ja, auch das! Bleiben wir bei den Demenzkranken. Die Pflegewissenschaft hat wiederholt belegt, wie wichtig Kommunikation im Umgang mit Demenzkranken ist. Diese Patienten sind teilweise noch körperlich fit, haben aber ihre kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten verloren und irren durch Raum und Zeit. Ich halte nichts davon, die Anforderungen an den Pflegeberuf abzusenken. Die Pflege muss aufgewertet werden.

Ärzte Zeitung: Wie?

Westerfellhaus: Indem wir der Pflegeprofession mehr Eigenständigkeit einräumen. Pflege muss mehr Kompetenzen bekommen und auch heilberuflich tätig werden dürfen. Die Pflegereform hat erste Weichen gestellt und Modellprojekte möglich gemacht, in denen Pflegende heilberuflich tätig werden. Der GBA wird dieses Jahr eine Richtlinie vorlegen.

Ärzte Zeitung: Ärzte stemmen sich vehement gegen Substitution ärztlicher Aufgaben und befürchten "Medizin light", die zu Qualitätseinbußen in der Versorgung führt. Glauben Sie, der Widerstand der Ärzteschaft wird geringer?

Westerfellhaus: Die gelebte Realität an der Basis - hier findet Umverteilung von Tätigkeiten erfolgreich statt - und die sich verändernden Strukturen in der Ärzteschaft werden ein Umdenken bewirken.

Es gibt keinen anderen Weg als den der Neuverteilung von Aufgaben, um eine Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen unter qualitativen und quantitativen Aspekten zu gewährleisten. Die Diskussion "Delegation versus Substitution" muss beendet werden.

Ärzte Zeitung: Zu einer starken Pflege gehört auch, zumindest sieht es der Pflegerat so, die Verkammerung der Pflege - in Analogie zu den freien Berufen etwa der Ärzte oder der Rechtsanwälte. Die Schaffung von Pflegekammern ist Sache der Länder. Was kann der Bund tun?

Westerfellhaus: Der Bund kann als Meinungsführer unterstützend wirken und den Nutzen einer Selbstverwaltung der Pflegeberufe herausstreichen. Er kann das Thema über die Gesundheitsministerkonferenz in die Länder hineintragen.

Bundesgesundheitsminister Rösler hat die ärztliche Selbstverwaltung gelobt. Warum sollte er nicht seinen Teil dazu beitragen, dass auch der Pflege das Recht auf Selbstverwaltung eingeräumt wird.

Ärzte Zeitung: Was hat Schwester Ines von der Kammer?

Westerfellhaus: Der Nutzen beginnt schon mit der Ausbildung. Ich denke da an die Abnahme von Prüfungen unter Aufsicht von Pflegepädagogen, die Ausgabe von Heilberufeausweisen, um einer pflegerischen uneingeschränkten Tätigkeit nachgehen zu können und die Bewertung von strukturierten Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten durch Vergabe von Lizenzen und Zertifikaten und vieles mehr.

Uns ist eines wichtig: Mit der Fremdbestimmung der Pflege muss Schluss sein.

Das Interview führte Thomas Hommel.

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