Apoplexie bei Kindern oft mit Krampfanfall

Schlaganfälle bei Neugeborenen werden häufig übersehen. Zwei von drei Betroffenen haben eine Gerinnungsstörung. Psychische Störungen lassen sich durch gute Förderung oft verhindern.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Je früher und intensiver die Reha erfolgt, um so günstiger ist der Langzeitverlauf nach Apoplexie.

Je früher und intensiver die Reha erfolgt, um so günstiger ist der Langzeitverlauf nach Apoplexie.

© Stefan Richter / fotolia.com

GÜTERSLOH. Etwa 300 Kinder und Jugendliche erleiden in Deutschland pro Jahr einen ischämischen Schlaganfall. Gerade bei Neugeborenen wird dieses Problem oft übersehen und damit wertvolle Zeit vergeudet.

Darauf haben Experten beim 1. Kongress zum Schlaganfall bei Kindern in Gütersloh hingewiesen und bisher kaum bekannte Daten zur Epidemiologie und zum Verlauf vorgestellt. So fällt nach Angaben von Dr. Ronald Sträter vom Uniklinikum Münster jeder dritte Schlaganfall bei Kindern in die Perinatalperiode.

Längst nicht alle dieser Kinder werden aber sofort richtig diagnostiziert. Der Schlaganfall wird im Gegenteil oft verkannt, denn die typischen Symptome mit Halbseitenlähmung, Sprachstörungen, einseitigen Sehstörungen und plötzlicher einseitiger Gefühllosigkeit stehen gerade bei Schlaganfällen im Neugeborenenalter nicht im Vordergrund.

 Stattdessen äußern sich Schlaganfälle überwiegend mit zerebralen Krampfanfällen. "Oft liegen aber auch nur unspezifische Symptome wie Atemstörungen oder Muskelschwäche vor", betonte Sträter, oder die Kinder wollen nicht trinken.

Beschwerden nehmen über die ersten Jahre hinweg zu

Typisch für einen Schlaganfall in den ersten Lebensmonaten ist zudem, dass die zurückbleibenden Beschwerden über die ersten Lebensjahre hinweg zunehmen, auch bei optimaler Krankengymnastik. "Das ist nicht leicht für die Eltern, da müssen wir sie unbedingt angemessen darauf vorbereiten."

Sträter präsentierte auf dem Kongress, der von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe organisiert wurde, eine aktuelle Auswertung des in Münster etablierten Schlaganfallregisters bei Kindern. Sie basiert auf Daten von 815 Kindern.

 Betroffen ist danach überwiegend die linke Großhirnhemisphäre. Etwa 60 Prozent der Schlaganfälle bei Kindern sind dort angesiedelt. Jeder vierte betrifft die rechte Hemisphäre, und knapp jeder zehnte das Versorgungsgebiet der Vertebralarterien. Die übrigen Kinder haben mehrere betroffene Gefäßregionen.

Das Münsteraner Register erlaubt auch Aussagen zur Pathogenese des ischämischen Schlaganfalls bei Kindern. Monokausale Zusammenhänge gibt es hier nicht, wohl aber eine ganze Reihe von Risikofaktoren, die mit ischämischen Ereignissen korrelieren. So hat etwa jedes fünfte Kind mit Schlaganfall einen angeborenen Herzfehler. Bei jedem fünften bis sechsten Schlaganfall sind Infektionen als auslösende Faktoren von Bedeutung.

"Wir haben außerdem festgestellt, dass zwei von drei Säuglingen mit Schlaganfall eine Gerinnungsstörung aufweisen. Das sind deutlich mehr als jene 24 Prozent, die wir in Vergleichskollektiven finden", so Sträter. Wie hoch das Schlaganfallrisiko bei Gerinnungsstörungen im Einzelfall ist, hängt von der Art der Gerinnungsstörung ab.

 Eine Faktor-V-Leiden-Mutation erhöhe das Risiko etwa vierfach, so Sträter. Liegen zwei Gerinnungsanomalien gleichzeitig vor, ist das Risiko schon etwa dreißigfach erhöht.

"Die Gerinnung zu kennen ist wichtig, um individuelle Prophylaxeempfehlungen geben zu können", betonte Professor Ulrike Nowak-Göttl von der Uniklinik Münster. So komme es bei Kindern und Jugendlichen mit Schlaganfall und Gerinnungsstörung immer wieder zu Rezidivschlaganfällen.

Diese könnten jedoch vermieden werden, wenn in der auslösenden Situation - meist ein medizinischer Eingriff oder eine akute Erkrankung - eine Gerinnungsprophylaxe gemacht worden wäre.

Nowak-Göttl hat in Münster auch Untersuchungen zum Langzeitverlauf von Kindern mit Schlaganfall gemacht und dabei sowohl die neurologischen Behinderungen als auch die Lebensqualität untersucht. In der Altersgruppe mit einem Schlaganfall zwischen dem 4. und 7. Lebensjahr hatten zwei von drei Kindern im Median 4,1 Jahre nach dem Ereignis zumindest ein neurologisches Defizit.

Bei den älteren Kindern waren es etwa die Hälfte. In Sachen Lebensqualität schnitten Kinder mit Schlaganfall durchweg schlechter ab als Kinder in Vergleichsgruppen. "Auffällig ist, dass Kinder mit sehr frühen Schlaganfällen ihre Lebensqualität besser einschätzen als Kinder, die erst später einen Schlaganfall erlitten haben.

Das dürfte daran liegen, dass die Kinder mit einem Schlaganfall im Neugeborenenalter nie ein Leben ohne Schlaganfall kennengelernt haben", betonte die Expertin.

Reha ist sehr wichtig für die Langzeitprognose

Klar ist, dass der Langzeitverlauf nach einem Schlaganfall entscheidend davon abhängt, ab wann und wie intensiv die Rehabilitation erfolgt. Der Stellenwert der Lysetherapie ist bei Kindern dagegen unklar. Dass Neurorehabilitation effektiv ist, wird durch eine zunehmende Zahl an Studien untermauert.

"Hier können wir sicher noch mehr machen, aber die These, es gebe keine Evidenz für neurorehabilitative Maßnahmen, ist falsch", betonte Dr. Matthias Spranger vom Neurologischen Rehabilitationszentrum Friedehorst in Bremen.

Zu den Rehamaßnahmen, deren Effekt durch Studien gut belegt ist, zählte der Experte das Training auf dem Laufband und die so genannte Forced-use-Therapie. Hierbei muss das Kind bestimmte Übungen ganz gezielt mit der beeinträchtigten Hand vornehmen. Die andere Hand wird festgehalten oder festgebunden. "Wenn die Eltern mitmachen, geht das auch schon bei Zweijährigen", so Spranger.

Entscheidend bei allen Reha-Formen sei, dass die Therapeuten alltagsnahe und überprüfbare Ziele setzen, zum Beispiel "frei sitzen lernen" oder "besser schreiben lernen". Die unspezifischen Therapieziele der klassischen Neurorehabilitation, beispielsweise "Tonusregulation" oder "Verbesserung der Feinmotorik" seien dagegen wenig hilfreich.

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