Baby-Vorhaut-Gewebe regeneriert verbrannte Haut narbenfrei

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Von Angela Speth

Silvesternacht 2004. Christina T., 20 Jahre alt, sieht sich das Feuerwerk an, das zwischen den Fachwerkhäusern der alten Universitätsstadt Tübingen aufsteigt. Plötzlich kommt aus einer anderen Zuschauergruppe ein Brummkreisel auf sie zu gerast und verfängt sich in ihrem Mantelkragen.

Sie versucht, das schwirrende Ding zu packen, aber es gelingt ihr nicht, und so brennt es auf ihrer Haut am Hals ab. Unmittelbar danach fällt sie in einen Schock, und man bringt sie in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik. Dort wird die Wunde versorgt und drei Tage später die verbrannte Haut abgetragen.

Fremdhaut als Alternative zur Eigenhaut-Transplantation

Die junge Frau hat eine gute Portion Glück im Unglück gehabt: Sie hat Verbrennungen Grad 2a bis 2b. Die Verbrennungen reichen also höchstens bis zur Lederhaut. Damit kommt für sie ein temporären Ersatz mit Fremdhaut (Transcyte®) in Betracht. Der Verbrennungsspezialist Privatdozent Hans-Oliver Rennekampff berät mit Christina T. das weitere Vorgehen.

Möchte sie die gebräuchliche Eigenhaut-Transplantation? Dazu würde Kopfhaut auf den Hals übertragen, und sie müßte mit Narben und Textur-Unterschieden rechnen. "Dann trag ich eben einen Hut und ein Kopftuch", hatte sie schon trotzig verkündet, bevor Rennekampff ihr die Alternative mit Fremdhaut-Ersatz schilderte.

Hergestellt wird die Fremdhaut meist aus Vorhaut, die bei Beschneidungen oder Phimosen-Operationen anfällt. "Babyzellen sind deshalb so geeignet, weil sie sehr stoffwechselaktiv sind. Außerdem ist das Risiko von Infektionen noch relativ gering", so Rennekampff zur "Ärzte Zeitung".

Die aus der Babyhaut entnommenen Fibroblasten werden zunächst auf einem kollagenbedeckten Nylonnetz gezüchtet, das wiederum auf einer Silikonmembran liegt. Während des Wachstums sondern sie Kollagen, Matrixproteine wie Fibronektin und Wachstumsfaktoren ab.

Hautfolien mit Fibroblasten werden tiefgefroren

Anschließend werden die Folien tiefgefroren, was die Stoffwechselaktivität der Zellen stoppt, ohne der Gewebematrix mit den daran gebundenen Wachstumsfaktoren etwas anzuhaben. Auf Wunden gelegt, bilden die Folien einen durchsichtigen biologischen Verband, der ein schützendes Milieu schafft und eine direkte Überwachung des Wundbetts erlaubt. Entscheidend dabei ist der Cocktail aus Wachstumsfaktoren: Er bringt körpereigene Zellen dazu, sich zu vermehren und in die Wunde einzuwandern.

Mit dieser künstlichen Epidermis bleiben einer Studie zufolge so gut wie keine Narben zurück. Dieses Argument gab für Christina T. den Ausschlag. Mit ihrer Entscheidung ging sie kein Risiko ein, denn wäre das gewünschte Resultat ausgeblieben, hätte man immer noch auf ein Eigenhaut-Transplantat zurückgreifen können.

Eigentlich ist das Züchten von Zellen zum Abdecken von Wunden oder als Ersatz verbrannter Haut seit 20 Jahren etabliert. Präparate aus Eigenhaut werden meist verwendet, wenn die verbrannte Region zu groß ist, um sie mit Lappenplastiken abzudecken.

Dann entnimmt man Betroffenen Hautzellen und vermehrt sie drei Wochen lang im Labor, bis Hunderte von kleinen Plättchen entstanden sind, die auf die Wunde aufgetragen werden. Im Gegensatz dazu dienen Fremdzellen nur als vorübergehende, die Regeneration stimulierende Wundauflage. Dabei gibt es mehrere Präparate, kultiviert zum Beispiel aus Amnion-, Leichen- oder Schweinehaut.

"Jede Abteilung bevorzugt ein bestimmtes Produkt. Einen einheitlichen Standard gibt es nicht, und ein Vergleich ist auch schwierig, weil die Patienten und die Verletzungen so unterschiedlich sind", erläuterte Rennekampff.

Noch keine Zulassung für Fremdhaut-Produkte

Mit Transcyte® gibt es ein Problem: Es ist in Deutschland nicht zugelassen. "Hierzulande kennt der Gesetzgeber nur Wundauflagen oder Medikamente. Das biologische Produkt dazwischen wird nicht berücksichtigt, ein allgemeines Manko im Tissue Engineering", so Rennekampff.

Würde es vom BfArM als Medikament eingestuft, müßte es nach den gleichen Vorschriften hergestellt werden - ein Ding der Unmöglichkeit. So hat die Firma den beschwerlichen Weg zum hiesigen Markt bisher gescheut und beruft sich stattdessen auf die US-Zulassung 1997 durch die FDA.

Auch in Australien ist es seit 2001 zugelassen und hat dort eine gewisse Popularität erlangt, nachdem australische Ärzte Opfer der Brandkatastrophe in einer Diskothek auf Bali damit versorgt hatten. Rennekampff: "Diese Erfolge rechtfertigen es für deutsche Ärzte, das Produkt ebenfalls zu verwenden."

30 mal 30 Zentimeter kosten 1700 Euro

Allerdings ist das Produkt umständlich zu bekommen: Man muß es jedesmal eigens über eine Apotheke bestellen. Und es ist teuer: 1700 Euro kostet das 30 mal 30 Zentimeter große Karree. "Das ist immer eine Einzelfallentscheidung", so Rennekampff.

Bei Christina T. habe er es für gerechtfertigt gehalten, denn die Kosten würden dadurch wieder ausgeglichen, daß sich eine Narbenbehandlung erübrigt und der Aufenthalt im Krankenhaus verkürzt wird. Zudem entsprach der Schweregrad der Verbrennungen genau der Indikation des Produkts.

Auch befand sich die Wunde an einer exponierten Körperregion, wo Hautverziehungen sehr entstellend wirken. "Ist der verbrannte Bereich unter der Kleidung versteckt, etwa an Po oder Bauch, kann man die Narbenbildung abwarten", sagte Rennekampff.

Etwa vierzehn Tage mußte die Folie an Ort und Stelle bleiben, dabei schilferte sie langsam ab. Ungefähr ein halbes Jahr dauert es bis zur vollständigen Heilung. Doch schon nach drei Monaten war der Erfolg verblüffend gut, die neue Haut zwar noch empfindlich, aber glatt. "Es juckt öfter mal", erzählte Christina T. der "Ärzte Zeitung", "aber die Wunde wird immer kleiner und paßt sich auch farblich immer mehr der Umgebung an."



Bei Narben kann oft nur ein Chirurg helfen

Ein großes Problem bei Verbrennungen ist die Narbenbildung, deren Verlauf sich kaum vorhersehen läßt. Da sich Narbengewebe zusammenzieht, werden angrenzende Hautbereiche oft verzogen. Mit speziellen Techniken läßt sich dies wieder korrigieren.

Die Tendenz von Narben, sich zusammenzuziehen, ist an sich sinnvoll, da die Wunde geschlossen werden soll. Jedoch kann dies auch andere Hautareale verunstalten: "Bei einer Patientin, die wir über zwanzig Jahre begleitet haben, hat sich nach einer Verbrennung der linken Körperseite der Mundwinkel verzogen, sie bekam einen Schiefhals, und die Brustentwicklung war unterdrückt", so Professor Hans-Eberhard Schaller von der Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen.

Außerdem dehnt sich Narbengewebe nicht aus, weil es durch seine wulstigen, bindegewebigen Stränge nicht elastisch ist. Es heilt schlecht, ist empfindlich und scheuert, bricht leicht auf, so daß offene Stellen entstehen, die immer wieder neu vernarben. Im Verlauf von Jahrzehnten können sich sogar Narbenkarzinome bilden.

Zur Behandlung solcher Narbenfelder gibt es verschiedene Techniken: Die Narben werden vollständig ausgeschnitten und dann mit einem Hautlappen verschlossen, dessen Gefäße mikrochirurgisch präpariert werden. Bei der Expandermethode etwa gewinnt man das Hautstück dadurch, daß ein Areal, etwa auf der Stirn, gedehnt, dann der Lappen um 180 Grad gedreht und auf ein ausgeschnittenes Narbenfeld im Gesicht gelegt wird.

Die neue gut durchblutete Haut mit Unterhautfettgewebe sondert Gewebeweichmacher ab, Fibroblasten sprossen ein, die narbiges Bindegewebe abtransportieren und durch normales Gewebe ersetzen. So können verzogene Finger von Patienten wieder gerade werden und ihre Beweglichkeit und Greiffunktion zurückerlangen.

Eine weitere Option besteht darin, die Narben-Oberfläche abzuschleifen oder Silikonfolien aufzulegen. Dadurch wird die Haut geglättet und an das umliegenden Niveau angepaßt. (ars)

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