HINTERGRUND

Bei den Organspenden gehört Deutschland zu den Nehmer-Ländern, und das nun schon viele Jahre

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Selbstversuch. Die Frage nach einem Organspendeausweis löst in fünf Apotheken einer hessischen Großstadt vor allem Erstaunen aus. Eine Apotheke muß passen, in den anderen findet sich schließlich ein Vordruck, vornehmlich in Hinterzimmern. Eine Mitarbeiterin entschuldigt sich mit dem Hinweis, sie gehe kurz in den Keller.

Beim Internisten hat die Arzthelferin sofort einen Vordruck parat. In der gynäkologischen Praxis: Fehlanzeige. Die Ärztin erklärt: Broschüren und Ausweise im Wartebereich, das käme bei ihren Patientinnen wohl nicht gut an.

3508 Organe wurden 2004 in Deutschland verpflanzt

Der nicht-repräsentative, kleine Feldversuch belegt: Das Werben für die Organspende nach dem Hirntod scheint sich zäh zu gestalten, zumindest außerhalb von größeren Aktionen wie dem Tag der Organspende am 4. Juni. Im vergangenen Jahr sind mehr als 3500 Organe von hirntoten Spendern in Deutschland verpflanzt worden, im selben Zeitraum gab es doppelt soviele Neuanmeldungen für ein Organ. Und nimmt man die Anmeldungen aus den Vorjahren dazu, stehen zur Zeit etwa 12 000 Patienten auf den Wartelisten.

    4000 Hirntote kämen jährlich für eine Organspende
in Frage.
   

Am diesjährigen Tag der Organspende findet in Mainz eine zentrale Veranstaltung dreier großer Selbsthilfeverbände in Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) statt, die seit fünf Jahren die Organspende nach dem Hirntod in Deutschland koordiniert.

Schirmherr des Aktionstages ist Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz. Er appelliert an die Menschen, sich zu Lebzeiten mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und Angehörigen die Mutmaßungen über den eigenen Willen im Moment des Todes zu ersparen.

Hat nur Deutschland dieses Problem? Nein, aber es nimmt unter den sechs Ländern, die im Eurotransplant-Verbund Organe austauschen, den letzten Rang ein mit 13 Organspendern pro Million Einwohnern, gefolgt von den Niederlanden mit 14 und Slowenien mit 14 Spendern pro Million Einwohnern. Belgien erreicht mit 24 Spendern bald doppelt soviel Spender wie Deutschland, und Österreich hat 23 pro Million Einwohner.

"Das sind die Geber-Länder", sagt Dr. Guido Persijn, den als Ärztlicher Direktor bei Eurotransplant das Mißverhältnis zwischen Spende und Transplantation von Organen wurmt. "Deutschland gehört zu den Nehmer-Ländern, schon lange".

Mangel an Spenderorganen hat vielfältige Gründe

Die Gründe für den Organmangel in Deutschland sind vielfältig. Denn die Transplantationsmedizin lebt nicht nur von der Solidarität der Gesunden mit den Kranken. Sie ist ebenso abhängig von der Kooperation aller in das System integrierten Personen und Institutionen.

So wundert es nicht, daß die Zusammenarbeit - zum Beispiel zwischen Dialyseärzten und Transplantationskliniken, zwischen reinen "Spender"-Krankenhäusern und Transplantationzentren, zwischen Organentnahme- und Implantationsteams - angesichts des ethischen Konfliktpotentials um den Hirntod, der hohen Arbeitsbelastung des Klinikpersonals und des zunehmenden ökonomischen Drucks im Gesundheitswesen extrem störanfällig ist. Das wäre kein moralisches Problem, solange es nicht zur Benachteiligung von Patienten und damit zu Vertrauenskrisen in die Transplantationsmedizin insgesamt führen könnte.

Experten sehen eine solche Vertrauenskrise inzwischen auf allen Ebenen. In der Bevölkerung nahm die Zustimmung zur postmortalen Organspende von etwa 85 Prozent in den 80er Jahren kontinuierlich auf derzeit 61 Prozent ab. Knapp 70 Prozent der Bürger finden Organspende einer Forsa-Umfrage von 2001 zu Folge zwar immer noch gut, aber nur zwölf Prozent haben einen Organspendeausweis.

Die Gründe der Menschen, eine Organspende für sich selbst abzulehnen, wurden 1998 von Forschern der Universität Witten-Herdecke erfragt: Der Hirntod wird nicht als Todeskriterium akzeptiert, 70 Prozent von 1000 Befragten fürchteten zudem Ungleichbehandlung und Organhandel. Selbst unter 202 befragten Ärzten hatten nur 65 Prozent einen Ausweis, und vier von zehn sorgten sich um die gerechte Zuteilung der Organe, den Egoismus der Transplantationszentren und die Profilierungssucht der Transplanteure.

Aktuell wird die Debatte in den Kliniken weiter erschwert durch Pläne der DSO, für die Hirntod-Diagnostik künftig nicht mehr Bereitschaftsdienste rund um die Uhr zu finanzieren, sondern nur noch einzelne Einsätze. "Dann", sagt Volker Behncke von der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft, "müssen wir bei Bedarf nach dem Lasso-Prinzip herumtelefonieren, um ein Expertenteam für die Hirntod-Diagnostik zusammenzurufen."

Krankenhäusern fehlt die Motivation

Schon jetzt mangelt es in den Kliniken an Motivation und Ressourcen. Nur etwa 40 Prozent der etwa 1400 Krankenhäuser mit Intensivbetten melden potentielle hirntote Spender. Rein quantitativ fällt die geringe Beteiligung der Krankenhäuser damit mehr ins Gewicht als die Ablehnungsrate der Bevölkerung: Gut 4000 hirntote Menschen kämen jährlich für eine Organspende in Frage. Selbst wenn bei einem Drittel keine Zustimmung erteilt würde, könnten knapp 3000 Spender statt bislang 1000 pro Jahr gewonnen werden.

Ob sich die Probleme auf längere Sicht lösen lassen, wird auch von der Politik abhängen. Transplantationsmediziner fordern seit längerem Ausführungsgesetze des Transplantationsgesetzes in allen Bundesländern, um Schlupflöcher bei der postmortalen Organspende in den Kliniken zu stopfen.

Die Bundesregierung hält höhere Aufwandsentschädigungen für die postmortale Organspende für sinnvoll. Ein weiterer Vorschlag ist, die Bereitschaft der Bürger zur Organspende über die elektronische Gesundheitskarte zu dokumentieren. Letztlich wird man auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stärker einbinden müssen.



FAZIT

Zur Zeit stehen in Deutschland etwa 12 000 Patienten auf den Wartelisten für eine Organtransplantation. Die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende nimmt jedoch kontinuierlich ab. Außerdem ist die Beteiligung der Kliniken gering. Es mangelt ihnen an Motivation und Ressourcen. Auch die Politik kann dazu beitragen, die Probleme zu lösen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Zu wenig Transparenz bei Organspende

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