Designer-Medikamente zielen auf Achillesferse von Tumoren

Krebserkrankungen stehen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf Platz zwei der Todesursachenstatistik in den westlichen Industrienationen - noch. Die Zahl der Menschen mit bösartigen Tumoren könnte, so vermuten Krebsforscher, in zehn Jahren vielleicht sogar den ersten Rang einnehmen.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Krebserkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten in ihrer Bedeutung als Todesursache schon in wenigen Jahren ihre Plätze wechseln. Einer der Gründe: Die Früherkennung und Therapie bei lebensbedrohlichen Ereignissen von Herzkreislauf-Leiden haben sich in den vergangenen Jahren stärker verbessert als die Diagnostik und Therapie bei Krebserkrankungen.

Bei einigen Tumorarten wie Leukämien oder bösartigen Tumoren bei Kindern gibt es aber auch deutliche Therapieerfolge. Über diese Erfolge wurde beim Medica-Kongreß in Düsseldorf bei einem Seminar über neue Designer-Medikamente in der Krebsforschung berichtet.

Unter den Krebsforschern herrscht Aufbruchstimmung

Obwohl sich der Fortschritt in der Krebsforschung nur langsam vollzieht - es herrscht dennoch Aufbruchstimmung. In enger Zusammenarbeit mit anderen Naturwissenschaftlern gelingt es den Krebsforschern Stück für Stück, den Tumoren das Geheimnis ihrer genetischen Defekte zu entreißen. Denn Gendefekte stehen am Anfang jeder Zell-Entartung und lösen das unkontrollierte Wachstum aus. Mit dem neugewonnenen Wissen gehen die Forscher den Tumoren gezielt an die Substanz: an die Erbsubstanz, aber auch an die Nährstoffversorgung.

"In den vergangenen Jahren sind Designer-Medikamente für die Behandlung von Patienten mit Krebserkrankungen entwickelt worden, die maßgeschneidert sind für die jeweilige Achillesferse der verschiedenen Tumoren", sagt Professor Rainer Haas von der Klinik für Hämatologie und Onkologie der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. "Solche neuen Arzneimittel eröffnen den Patienten interessante Perspektiven, weil sie wirksam und oft auch besser verträglich sind als herkömmliche Krebsmedikamente." Ein weiterer Vorteil: Viele dieser Krebs-Medikamente wirken auch dann noch, wenn die klassischen Zytostatika nach mehreren Anwendungszyklen versagen.

Imatinib: Beispiel für ein maßgeschneidertes Krebsmittel

Ein Beispiel ist der Wirkstoff Imatinib (Glivec®). Der Enzymhemmer ist maßgeschneidert worden für die Behandlung von Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML). Bei einem Teil der Kranken liegt der Entartung der weißen Blutzellen die anomale Verschmelzung zweier Chromosomen-Stückchen zugrunde.

Als Folge entsteht ein neues Chromosom, das Philadelphia-Chromosom, und dadurch der Bauplan für eine Variante eines Eiweißmoleküls, des Enzyms Tyrosinkinase. Dieses Enzym kurbelt besonders intensiv die Vermehrung der Zellen an. Nachdem dieses Eiweißmolekül als häufiger Auslöser für die Entstehung von CML feststand, begannen die Forscher, nach einem spezifischen Hemmstoff der neu entstandenen Tyrosinkinase zu suchen.

Heraus kam das Molekül Imatinib, das inzwischen als Arzneimittel der ersten Wahl für CML-Patienten mit Philadelphia-Chromosom gilt. Es verlangsamt das Tumorwachstum deutlich im Vergleich zur herkömmlichen Therapie und kann auch Kindern ab drei Jahren verabreicht werden. Inzwischen hat sich Imatinib auch für die Therapie von Patienten mit gastrointestinalen Stromatumoren bewährt.

Die Erfolgsgeschichte dieser Substanz stachelte die Forscher an, nach weiteren solcher kleinen Moleküle mit großer Wirkung auf Krebszellen zu suchen. Die Pipelines der Pharmaunternehmen stecken voller neuer Produkte dafür. Einige Produkte haben ihre Wirksamkeit ebenfalls schon am Patienten bewiesen.

Vielversprechend ist etwa der Tyrosinkinase-Hemmer Erlotinib (Tarceva®), der sehr selektiv die Aktivität des Enzyms auf der Oberfläche von Lungenkrebszellen, nämlich beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom, hemmt. "Wir haben außerdem Hinweise darauf, daß wir vor Beginn einer Therapie mit molekularbiologischen Methoden diejenigen Patienten identifizieren können, die überhaupt auf eine Behandlung mit Erlotinib ansprechen würden", sagt Haas.

Jetzt sucht er zusammen mit seinem Team-Kollegen Dr. Ulrich Rohr und anderen Mitarbeitern in einer Studie gezielt nach solchen molekularen Achillesfersen im Tumor, die für die Erlotinib-Therapie empfindlich sind. Patienten, die auf die Therapie vermutlich gar nicht ansprechen würden, können damit von einer unnötigen Therapie verschont bleiben. Erste Hinweise, daß dies gelingen könnte, kommen schon aus zwei kleineren Studien.

Eine weitere Präzisions-Waffe gegen Krebs sind monoklonale Antikörper. Diese vom Immunsystem zur Abwehr synthetisierten Eiweißstoffe lassen sich im Labor für den punktgenauen Angriff auf ein bestimmtes Eiweiß gezielt züchten. Dieses Eiweiß muß spezifisch für die Krebszelle sein.

Hat sich der Antikörper erst einmal daran gebunden, ist das der Anfang vom Ende der Zelle. Die entscheidende Frage lautet: Welche Eiweißmoleküle eignen sich als Verräter von Krebszellen? Auch hier sind die Krebsforscher in den vergangenen Jahren weitergekommen. Die Wissenschaftler haben mehrere solcher verräterischen Moleküle ausmachen können.

Acht monoklonale Antikörper sind schon auf dem Markt

Oft sind es auf den Krebszellen Empfangsantennen für Wachstumsfaktoren, mit denen die Zellen dichter als gesunde Zellen an ihrer Oberfläche bespickt sind. Diese Rezeptoren machen die Tumorzellen empfänglicher für Wachstumsreize. Außerdem nehmen die Antikörper Eiweißmoleküle ins Visier, die das Aussprossen von Blutgefäßen ankurbeln.

Acht solcher Antikörper, die jeweils monoklonal sind, also jeweils eine einzige bestimmte Spezifität haben, sind bereits auf dem Markt, mehrere andere in der Entwicklung.

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