INTERVIEW

"Die Organspende ist eine Geste der Mitmenschlichkeit"

Der Mangel an Organen ist ein Problem fast aller westlichen Länder. Ausnahmen: Spanien und Österreich mit eher kurzen Wartezeiten. Die USA haben die Organspendezahlen in den letzten Jahren immerhin steigern können. Kann Deutschland von anderen Ländern lernen? Was muß getan werden, um das Potential an Organspenden ausschöpfen zu können? Darüber sprach mit Professor Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Nicola Siegmund-Schultze von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Beginnen wir mit einer Erfolgsmeldung: Im vergangenen Jahr haben 1220 Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet, so viele, wie in den letzten zehn Jahren nicht mehr. Wie ist das erreicht worden?

Kirste: Zum einen ist in den Kliniken die Unterstützung der DSO wahrgenommen worden. Zum anderen gewinnen wir mehr und mehr die Politik für unser Anliegen. Dabei helfen in manchen Bundesländern, wie etwa Bayern, Ausführungsbestimmungen zum Transplantationsgesetz.

Besonders positiv für die Organspende wirkt sich dort das persönliche Engagement der Sozialministerin aus. Ein weiteres Beispiel ist Nordrhein-Westfalen. Auch hier hat die politische Unterstützung zur Steigerung der Zahl der Organspender beigetragen. Auf diesem Weg müssen wir weiter gehen. Trotz des Erfolgs sind 15 Organspender pro Million Einwohner noch viel zu wenig.

Ärzte Zeitung: Wie hoch ist das Potential?

Kirste: Internationale Studien, zum Beispiel aus den USA und Spanien, haben ergeben, daß das Potential bei 50 bis 55 Organspendern pro Million Einwohnern liegt. Auf eine ähnliche Zahl kommt eine aktuelle Untersuchung der DSO, die zeigt: Die Zahl möglicher Organspender liegt bei mindestens 40, wahrscheinlich sogar bei 50 pro Million Einwohnern.

Ärzte Zeitung: Warum werden mögliche Organspenden nicht realisiert?

Kirste: Die Gründe sind, daß zum einen Kliniken potentielle Spender nicht erkennen und die DSO nicht frühzeitig genug einbinden. Zum anderen liegen nur selten Einwilligungen des Verstorbenen vor, so daß die Angehörigen auf Basis des mutmaßlichen Willens des Gestorbenen entscheiden müssen. Das führt zu einer schwierigen Situation, oft zu einer Überforderung der Angehörigen, so daß die Organspende in vielen Fällen abgelehnt wird.

Ärzte Zeitung: Wie wollen Sie hier eine Kehrtwende einleiten?

Kirste: Organspende bedeutet ein besseres Leben für Kranke oder sogar ein Überleben. Wir müssen das gesellschaftliche Klima ändern in dem Sinne, daß Organspende in der Bevölkerung als etwas Positives empfunden wird, als eine Geste der Mitmenschlichkeit. Jeder von uns kann in die Situation kommen, plötzlich auf ein fremdes Organ angewiesen zu sein. Daher sollte jeder bereits zu Lebzeiten eine Entscheidung treffen und in der Familie besprechen. Und in den Krankenhäusern müßte die Organspende zum selbstverständlichen Versorgungsauftrag gehören. Die Organtransplantation ist mit ihren Ergebnissen eine Erfolgsgeschichte, wie sie in der Medizin der letzten 50 Jahre ihres Gleichen sucht. Wir müssen diese Möglichkeiten als Ärzte besser nutzen. Dazu braucht es die Mithilfe aller. Ganz einfach: Jeder ist bereit, jeder macht mit, allen kann geholfen werden.

Ärzte Zeitung: Braucht es außer diesen bekannten Appellen an den guten Willen auch Druck?

Kirste: Wenn Druck, dann im Sinne von Motivation: Zum Beispiel sind öffentliche Auszeichnungen von Krankenhäusern, die sich für die Organspende besonders engagieren, ein Motivationsfaktor. In den USA hat wohl zur Steigerung der Organspende beigetragen, daß Kliniken, die potentielle Spender nicht melden, finanziell benachteiligt werden.

Ärzte Zeitung: Und ein Organspenderegister?

Kirste: Die Niederlande haben Millionen Gulden ausgegeben, um ein solches Register einzurichten und die Bevölkerung zu motivieren, ihren Willen zu dokumentieren. Nur 28 Prozent der Bevölkerung haben das Angebot angenommen. Von den übrigen 72 Prozent könnte der - sicher falsche - Eindruck entstehen, sie lehnten eine Organspende nach dem Tode ab. Ein Register kann also auch kontraproduktiv wirken.

Ärzte Zeitung: Unabhängig von der Spende ganzer Organe soll eine neue EU-Richtlinie Spende, Beschaffung und Testung von menschlichen Geweben und Zellen regeln. Ist die DSO zufrieden mit dem Entwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht?

Kirste: Nein, überhaupt nicht. Zum einen müßte die postmortale Organspende mit dem Ziel der Transplantation Vorrang erhalten vor der Gewinnung von Zellen und Geweben. So eine Priorisierung sieht der Entwurf nicht vor. Zum anderen müßte gesichert sein, daß Gewinnung und Verarbeitung von Zellen und Geweben nicht kommerzialisiert wird.

Ärzte Zeitung: Was spricht gegen eine kommerzielle Nutzung? Es wird doch mit Blut und Geweben vom Menschen jetzt schon Handel getrieben, mit Herzklappen zum Beispiel.

Kirste: Das ist schlimm genug. Aber ein gespendetes Organ oder Gewebe ist kein Arzneimittel, keine Pille, mit der man handeln kann. Es bestünde etwa die Gefahr, daß Firmen Verträge mit den Kliniken zur Gewinnung von Zellen und Geweben abschließen, die dann der Entnahme von Organen für die Transplantation Konkurrenz machen könnten. Die DSO plädiert dafür, den gesamten Bereich der Organ- und Gewebespende frei von kommerziellen Interessen zu halten und in eine Hand zu geben. Das ist gängige Praxis in Europa. Die Richtlinie der EU legt ausdrücklich fest, daß der Umgang mit Gewebe im Non-Profit-Bereich angesiedelt wird.

Lesen Sie dazu auch: Zahl der Organspenden ist im vergangenen Jahr gestiegen



STICHWORT

Deutsche Stiftung Organtransplantation

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) unterstützt seit über 20 Jahren die Entwicklung der Transplantationsmedizin durch ihr Engagement für die Organspende.

Das Transplantationsgesetz sieht eine Institution vor, die bundesweit die Vorbereitung und Durchführung der postmortalen Organspende verantwortet. Die DSO hat seit Juni 2000 die Funktion dieser Koordinierungsstelle übernommen. Die DSO ist damit verantwortlich für den gesamten Prozeß der Organspende einschließlich des Transports. Ausgenommen ist die Organvermittlung, die durch Eurotransplant erfolgt.

Außerdem gewinnt die DSO Organspender durch Öffentlichkeitsarbeit, sie unterstützt die Krankenhäuser und fördert den Wissenstransfer in der Transplantationsmedizin.

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