Etwa zwei Drittel aller Lehrer burn-out-gefährdet

BERLIN (ddp.vwd). Etwa ein Drittel der Gymnasiallehrer zeigt nach einer neuen Studie des Freiburger Medizinprofessors und Psychotherapeuten Joachim Bauer Anzeichen für das Burn-out-Syndrom. Daß Lehrer für das Burn-out-Syndrom besonders anfällig sind, wurde auch im Zusammenhang mit dem Gewaltproblem an der Berliner Rütlischule offensichtlich. Experten sehen Pädagogen an Hauptschulen insgesamt stärker gefährdet als deren Kollegen an Gymnasien.

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Bei etwa 20 Prozent der insgesamt 400 untersuchten Lehrkräfte an Freiburger Gymnasien konnten die Experten auch streßbedingte Belastungssymptome diagnostizieren, "die in ihrer Schwere einer medizinisch relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigung entsprechen". "Diese Lehrer brauchen eigentlich eine medizinisch-psychosomatische Behandlung", sagte Bauer. Sie litten häufig unter Angst- und Panik-Symptomen, Depressionen, Herz- und Kreislaufstörungen sowie schweren Schlafstörungen.

Die Hauptbelastungsfaktoren seien zu große Klassen und destruktives Schülerverhalten. "Die Lehrer sind in der Regel fachlich gut ausgebildet. Dagegen zeigen sie sich oftmals völlig inkompetent, wenn es darum geht, mit schwierigen Schülern umzugehen", betonte der Freiburger Arzt. Bauer, der auch wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Gesundheit in pädagogischen Berufen ist, hält die Ergebnisse seiner Studie für um so besorgniserregender, "weil die untersuchten Lehrer nicht aus einem städtischen Problembereich kommen". In anderen Gegenden dürften die Werte noch schlechter sein, sagte er. Scharf kritisierte Bauer, daß sich nur sehr wenige Pädagogen auf Hilfs- und Beratungsangebote einließen.

Der Gesundheitswissenschaftler Dieter Kleiber von der Freien Universität Berlin sieht vor allem an vielen Hauptschulen "Bedingungen, die erwartbar machen, daß das Risiko zum Burn-out-Syndrom dort hoch ist". Als "Restschule für Marginalisierte, die keine Chance haben" werde ein Klima wahrscheinlich, das Lehrern und Schülern nicht zuträglich sei.

Dies gelte jedoch für alle "Problemschulen". Eine Generalisierung sei wissenschaftlich gesehen problematisch, sagt der Experte. Schließlich gebe es keine "allgemeine Neigung" der Hauptschullehrer, ein Burn-out zu entwickeln, ergänzt Bernd Sprenger, Chefarzt der Oberbergklinik Berlin-Brandenburg. Gefährdet seien jedoch engagierte Pädagogen, deren beruflicher Erfolg nicht mit selbst gesteckten Ansprüchen gleichziehe.

Vor allem in Hauptschulen stünden Lehrer oft vor Aufgaben, die sie nicht lösen könnten. Zum Beispiel könnten sie kein Erziehungsersatz für das Elternhaus sein. Darüber hinaus entstehe an vielen Hauptschulen durch "Ghettoisierung" ein Nährboden für Gewalt, die dem Burn-out von Lehrern weiteren Vorschub leiste, so Sprenger.

Auf ein solches Klima der Gewalt würden angehende Pädagogen in ihrer Ausbildung nicht vorbereitet, sagt Christina Altenstein, Koordinatorin des Projekts "Netzwerk Lehrergesundheit" an der Universität Greifswald. Etwa zwei Drittel der Lehrer in Deutschland sind nach einer Studie der Universität Potsdam entweder burn-out-gefährdet oder überfordern sich selbst, was als Vorstufe des "Ausbrennens" gilt. Defizite im Bildungssystem als Grund für erhöhtes Erkrankungsrisiko bei Lehrern sieht auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Bundesvorstandsmitglied und Ex-Hauptschullehrerin Anne Jenter bemängelt zu hohe Klassenstärken und Stundenzahlen vor allem an Hauptschulen sowie Defizite bei der Lehrer-Aus- und Fortbildung. So werde etwa während des Referendariats zu wenig auf die Verzahnung von Theorie und Praxis geachtet, bei Weiterbildungen zu wenig soziale Kompetenz vermittelt, sagt Jenter. Zudem würden Erfahrungen aus dem Schulalltag zu selten aufgearbeitet.

Helga Arold, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam, faßt zusammen: In der seit 1993 zum Thema Lehrergesundheit an der Hochschule laufenden Studie sei bislang - was das Burn-out-Risiko betrifft - zwar keine "eindeutige Abhängigkeit von der Schulform" festgestellt worden. Sie vermutet dennoch, daß das "Belastungserleben an Hauptschulen" höher ist.

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