Der Standpunkt

Europäische Lösungen gefragt

Das IQWiG hat keinen Zusatznutzen bei einem neuen MS-Mittel erkannt, das die Schubrate im Vergleich zur Standardtherapie um die Hälfte senkt. Das schürt den Verdacht: Hier geht es nicht primär um die Prüfung eines zusätzlichen Nutzens, sondern um die Vermeidung zusätzlicher Kosten, meint Thomas Müller.

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Thomas Müller ist Redakteur für die Fachgebiete Neurologie und Psychiatrie bei Springer Medizin. Schreiben Sie ihm: thomas.mueller@ springer.com

Es sind Zahlen, die Angst machen: Auf etwa 800 Milliarden Euro schätzt die Europäische Neurologengesellschaft ENS die jährlichen gesamtwirtschaftlichen Kosten von ZNS-Krankheiten in Europa. Davon sind etwa 480 Milliarden Euro direkte Kosten für Therapie und Pflege.

 Hirnerkrankungen sind längst dabei, Herzkreislaufleiden bei den Kosten vom Spitzenplatz zu verdrängen.

Die Frage ist, wie Gesellschaften damit umgehen. In Deutschland versucht man, steigenden Kosten mit Instrumenten wie der frühen Nutzenbewertung Herr zu werden. Davon sind derzeit auch viele ZNS-Arzneien betroffen.

Eine Nutzenbewertung macht dabei durchaus Sinn, denn eine Gesellschaft muss sich fragen, wie viel ihr der Therapiefortschritt Wert ist.

Wenn jedoch das IQWiG bei einem neuen MS-Mittel, das die Schubrate im Vergleich zur Standardtherapie um die Hälfte senkt, praktisch keinen Zusatznutzen erkennt, dann drängt sich ein Verdacht auf: Hier geht es nicht primär um die Prüfung eines zusätzlichen Nutzens, sondern um die Vermeidung zusätzlicher Kosten.

Um einen solchen Verdacht auszuräumen, wäre es am besten, die Nutzenfrage schon bei der Zulassung zu klären. Da ein Medikament bei Franzosen so gut wirkt wie bei Deutschen, muss auch nicht jedes Land sein eigenes Süppchen kochen, hier sind vielmehr europäische Lösungen gefragt.

So könnte etwa die EMA Kriterien für eine Nutzenbewertung festlegen, an denen die Arzneimittelhersteller ihr Studienprogramm orientieren. Ein Problem ist ja, dass das IQWiG immer wieder Daten fordert, die es nicht gibt, weil sie für die EU-Zulassung nicht nötig sind.

An einer europäischen Nutzenbewertung müssten allerdings alle relevanten Fachgesellschaften beteiligt sein, sie darf nicht wie in Deutschland primär in den Hinterzimmern eines Instituts stattfinden.

Ist der Nutzen evaluiert, bliebe es den nationalen Gesundheitssystemen überlassen, wie viel sie dafür zahlen wollen. Dann bräuchte es keine Scheindiskussionen mehr, ob es einen Fortschritt gibt, man könnte endlich darüber sprechen, was er kosten darf.

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