Statine

Experten analysieren das "wahre" Nutzen/Risiko-Profil

Internationale Experten sind angetreten, die nach ihrer Ansicht häufig verzerrte Darstellung der Therapie mit Statinen ein für allemal zu korrigieren. Sie stört gewaltig, dass der therapeutische Nutzen dieser Lipidsenker in der öffentlichen Debatte vielfach unterschätzt, Nebenwirkungen dagegen krass überschätzt werden.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Metaanalysen haben ergeben, dass mit einer Senkung des LDL-Cholesterins das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse abnimmt.

Metaanalysen haben ergeben, dass mit einer Senkung des LDL-Cholesterins das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse abnimmt.

© chrupka / Fotolia

OXFORD. Es ist ein umfangreiches Dokument, das dem Fachblatt "The Lancet" 31 Druckseiten wert ist. Die Autoren dieses Lancet-Beitrags um Professor Rory Collins aus Oxford verbinden damit das erklärte Ziel, Ärzten, Patienten und der Öffentlichkeit die Augen dafür zu öffnen, wie es um die Wirksamkeit und Sicherheit von Statinen wirklich bestellt ist (Lancet 2016, online 8. September).

Das schiefe Bild, das von den Statinen in der Öffentlichkeit häufig gezeichnet werde, hat nach Ansicht von Collins und seinen Kollegen viel damit zu tun, dass man sich der Stärken und Schwächen unterschiedlicher Studien-Typen nicht bewusst ist.

Aus diesem Grund klären sie in einem methodischen Teil ihrer Lancet-Publikation die geneigte Leserschaft sehr ausführlich darüber auf, wie sich randomisierte kontrollierte Studien von Beobachtungsstudien in ihrer Wertigkeit als Methoden der Erkenntnisgewinnung unterscheiden und was von Metaanalysen randomisierter Studien zu halten ist.

Solide Evidenz für Statine

Die beste Methode, um an zuverlässige wissenschaftliche Informationen über Nutzen und Risiken einer medikamentösen Therapie zu gelangen, sind ohne Frage randomisierte kontrollierte Studien. Und davon gibt es im Fall der Statine inzwischen so viele, dass deren gepoolten Daten inzwischen mehrfach in Metaanalysen ausgewertet wurden. Auf Basis dieser sehr soliden Evidenz hat die Gruppe um Collins nun analysiert, in welchem Verhältnis der Nutzen zu den Risiken von Statinen steht.

Metaanalysen haben ergeben, dass mit jeder Senkung des LDL-Cholesterins um 1 mmol/l (39 mg/dl) das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse relativ um rund 25 Prozent abnimmt - und das in jedem Jahr, in dem die Therapie beibehalten wird. Der absolute Nutzen hängt davon ab, wie hoch das individuelle absolute Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und wie stark die absolute LDL-Senkung ist.

Die Gruppe um Collins präsentiert nun folgende Berechnung: Würde bei 10 000 Patienten fünf Jahre lang mit einem relativ preisgünstigen Statin (etwa Atorvastatin 40 mg) das LDL-Cholesterin um 2 mmol (77 mg/dl) gesenkt, ließen sich dadurch bei vaskulär erkrankten Patienten (Sekundärprävention) rund 1000 kardiovaskuläre Ereignisse verhindern. In der Primärprävention bei Patienten mit erhöhtem Risiko wären 500 verhinderte Ereignisse der Ertrag einer solchen Behandlung. Je länger die Therapie fortgesetzt wird, desto stärker werde sich ihr absoluter Nutzen vergrößern.

Die einzigen schwerwiegenden Nebenwirkungen, die Statinen in der Langzeittherapie ursächlich zugeschrieben werden können, seien Myopathie, neu aufgetretener Diabetes mellitus und möglicherweise hämorrhagischer Schlaganfall.

Auf 10 000 Patienten kämen in fünf Jahren fünf Fälle einer Myopathie, von denen eine - sofern die Therapie nicht unterbrochen werde - zu einer Rhabdomyolyse fortschreiten könne. Zudem sei mit 50 bis 100 Fällen von neu aufgetretenem Diabetes und mit 5 bis 10 hämorrhagischen Schlaganfällen zu rechnen. Die Autoren betonen jedoch, dass sie diese unerwünschten Effekte bei ihrer Berechnung des therapeutischen Nutzens von Statinen bereits in Rechnung gestellt haben.

Bei 50 bis 100 Patienten könne es zu symptomatischen Beschwerden wie Muskelschmerzen und -schwäche kommen. Placebokontrollierte Studien hätten allerdings definitiv gezeigt, dass diese mit Statinen assoziierten Symptome nur ganz selten auch in ursächlichem Zusammenhang mit der lipidsenkenden Therapie stünden, betont die Expertengruppe.

Gefahren einer Untertherapie

Angesichts der bereits erfolgten umfangreichen wissenschaftlichen Erforschung von Statinen halten Collins und seine Kollegen es für sehr unwahrscheinlich, dass in künftigen Untersuchungen noch bislang unentdeckte unerwünschte Effekte dieser Lipidsenker zum Vorschein kommen werden. Somit sei nicht zu erwarten, dass sich am skizzierten Nutzen/Risiko-Profil grundsätzlich etwas ändern werde.

Wenn dennoch in der Öffentlichkeit immer wieder - aus wissenschaftlicher Sicht unbegründete - Zweifel an der Sicherheit von Statinen auftauchten, sei dies ein Grund zur Besorgnis. Denn das könne dazu führen, dass Personen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko diese Therapie nicht erhalten, obwohl sie davon profitieren würden.

Myopathien oder muskuläre Beschwerden bildeten sich nach Absetzen von Statinen in der Regel rasch zurück. Herzinfarkte oder Schlaganfälle, die Konsequenzen eines unnötigen Verzichts auf diese Therapie sind, könnten dagegen bleibende gravierende Folgen haben.

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Kommentare
Thomas Georg Schätzler 12.09.201618:05 Uhr

Überschätzte Effekte und unterschätzte Risiken?

"Interpretation of the evidence for the efficacy and safety of statin therapy" von Rory Collins et al. im LANCET
http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2816%2931357-5/abstract
überschätzt die Lipidsenker-Effekte, vergleicht sie gar nicht erst mit rein physikalischen Behandlungsmöglichkeiten bzw. Lebensstil-Interventionen und unterschätzt potenzielle Nebenwirkungen und Risiken.

Entscheidend ist die Krankheits-Vorgeschichte und der Gesundheitsstatus unserer Patientinnen und Patienten. Gesunde profitieren einfach wesentlich weniger von einer schrotschussartigen Statin-Therapie ("fire and forget"). Darauf weisen die Ergebnisse der HOPE-3-Studie (Heart Outcomes Prevention Evaluation-Study-3) hin.

Ältere Menschen wurden dabei präventiv mit Medikamenten zur Senkung von Blutdruck und Cholesterin behandelt, auch wenn Blutdruck und Cholesterinwerte gar nicht erhöht waren. Das hatte zu dürftigen und weitgehend insignifikanten Studienergebnissen geführt.

Die Ergebnisse von Rosuvastatin (Dosis: 10 mg/die) sowie einer Kombination aus Candesartan (16 mg/die) und Hydrochlorothiazid (12,5 mg/die) waren desolat bis niederschmetternd: Die Monotherapie mit dem Statin senkte den primären Studien Endpunkt von 4,8 Prozent im Placebo-Arm auf 3,7 Prozent nach der Behandlung mit Rosuvastatin, also gerade mal um 1,1 von Hundert.
Bei Kombination aus Candesartan (16 mg/die) und Hydrochlorothiazid (12,5 mg/die) sank der primäre Endpunkt von 4,4 auf 4,1 Prozent (Hazard Ratio 0,93; 0,79-1,10), also nur um 0,3 von Hundert. Der coprimäre Endpunkt sank von 5,2 auf 4,9 Prozent (Hazard Ratio 0,95; 0,81-1,11), also ebenfalls um 3 auf Tausend.

Ist doch mit Gewichtsreduktion, zielgerichtet-indizierter Therapie ("treat-to-target") und Bewegungsaktivität nicht wesentlich mehr nebenwirkungsfrei zu erreichen?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Peter M. Schweikert-Wehner 12.09.201610:59 Uhr

Wirksam und gut verträglich

Ich empfehle bei jedem Patienten, der eine Statintherapie erhalten soll, die Gentestung auf Statine. Nur so kann man ein geeingnetes Statin finden, dass gut wirkt und die höchste Verträglichkeit hat. Wenn der Nutzen der Therapie so groß ist müsste dass auch im Hinblick auf die Adhärenz der beste Therapieeinstieg sein.
Dr. Schweikert-Wehner, FAFPHA Mechernich

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