INTERVIEW

"Freizeit ist kein Luxus, sondern Pflicht"

Wer sich mit Leib und Seele dauerhaft für ein Ziel engagiert und dabei andere Aspekte des Lebens vernachlässigt, läuft Gefahr, sich chronisch zu überlasten, zu frustrieren und zu erschöpfen. Darauf weist der Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Professor Volker Faust aus Ravensburg hin. Im Gespräch mit Helga Brettschneider von der "Ärzte Zeitung" rät er als Erste-Hilfe-Maßnahme, die Arbeitszeit zu begrenzen.

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"Hobbys sind nicht lächerlich, sondern Ressourcen. Der Kontakt zu den Mitmenschen ist keine Zeitverschwendung, sondern Psychohygiene pur." "Burnout, das ist erschöpft, verbittert und ausgebrannt."

Ärzte Zeitung: Herr Professor Faust, wie lässt sich Burnout definieren?

Professor Volker Faust: Dafür gibt es eine ganze Reihe von Definitionen. Aber alle beschreiben einen überengagierten Menschen. Das Umfeld nimmt ihn nicht ernst und nutzt ihn oft aus. Schließlich ist er überfordert, verbittert und brennt aus. Das Leiden ist alt: Es wurde früher als Elias-Müdigkeit bezeichnet, nach einem Propheten mit dafür offenbar typischer Wesensart. Ich selber erlaube mir für den Praxisalltag die kürzeste Definition: Burnout, das ist erschöpft, verbittert und ausgebrannt.

Ärzte Zeitung: Früher galten vor allem Menschen in helfenden Berufen als gefährdet.

Faust: Heute sind es alle, von Lehrern und Werbefachleuten bis zu Ärzten. Es trifft Frauen wie Männer jeden Alters, am ehesten im mittleren Alter mit seinen starken Belastungen in Partnerschaft, Familie, Karriere und beim Hausbau. Bei Hausfrauen wird die Möglichkeit oft gar nicht bedacht - obwohl sie mit Haushalt, Kinderbetreuung, Teilzeitarbeit und Pflege von Angehörigen oft gleich mehrfach belastet sind. Insgesamt leiden Mittel- und Oberschicht eher unter Burnout. Die Unterschicht ist eher abgearbeitet. Ungünstige Eigenschaften sind auch Perfektionismus und übermäßiges Verantwortungsgefühl.

Ärzte Zeitung: In welchem Stadium kommen Burnout-Patienten zu Ihnen?

Faust: Meistens erst in der Endphase. Das liegt auch an ihrem Selbstverständnis: Für sie zählt Leistungsfähigkeit. Krankheit gilt als Schwäche. Bei genauem Nachfassen erkennt man dann auch verschiedene Phasen. Es beginnt mit Warnsymptomen des Überengagements: Die Arbeit steht zunehmend an erster Stelle, Überstunden sind normal. Es folgen Erschöpfung, Resignation und psychosoziale Konsequenzen. Etwa der soziale Rückzug von den Kollegen und Freunden, weil für diese keine Zeit und keine Kraft mehr bleibt. Dazu kommen psychosomatische Reaktionen und kognitive Einbußen, das Gedächtnis lässt nach, Fehler häufen sich, die Freude am Beruf schwindet. Der Endzustand mit Ironie, Zynismus und Sarkasmus lässt dann keine Zweifel mehr: Der Mensch ist ausgebrannt.

Ärzte Zeitung: Ist bekannt, wie viele Menschen an einem Burnout leiden?

Faust: Dazu gibt es keine exakten Daten - wie auch, wenn nicht einmal eine einheitliche Definition existiert.

Ärzte Zeitung: Welche Bedeutung hat die Belastung am Arbeitsplatz? Hoher Leistungsdruck und Angst um den Job sind ja häufig.

Faust: Die meisten Arbeitnehmer akzeptieren, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Notwendig ist aber die Rückkehr zu verantwortungsvollen Umgangsformen. Denn die Menschen legen nicht nur Wert auf festes Einkommen und sichere Arbeitsplätze. Sie wollen Freude an der Arbeit, menschliche Behandlung, Anerkennung, Kollegialität und Mitgestaltung - nicht nur Mitverantwortung, wenn etwas schief gegangen ist. Der verantwortungsvolle Umgang mit den Mitarbeitern ist die Basis einer menschenwürdigen Führung und des Unternehmenserfolgs, auch in harten Zeiten. Denn ausgelaugte, frustrierte und ausgebrannte Mitarbeiter geben ihren Zustand weiter -auch an die Kunden, von denen der Betrieb lebt.

Ärzte Zeitung: Man kann dem Ausbrennen also vorbeugen.

Faust: Der Weiterbildungstrend der Wirtschaft mit Themen wie Teamführung, Konflikt-Management und Gesundheitserhaltung geht in die richtige Richtung. Auch der Einzelne kann vorbeugen: Entspannungsverfahren lernen, bevor er sie braucht, sich selbst kritisch beobachten, Warnzeichen und Hinweise ernst nehmen, statt zu verdrängen. Und bei Bedarf bedacht, aber konsequent gegensteuern. Dazu gehört ein gesunder Lebensstil mit genug Schlaf, ausgewogener Ernährung und täglichem Gesundheits-Spaziergang bei Tageslicht. Sogar Maßnahmen wie Wechselduschen und Bürstenmassagen nutzen. Freizeit ist also kein Luxus, sondern regenerative Pflicht, und Hobbies sind nicht lächerlich, sondern Ressourcen. Auch der Kontakt zu den Mitmenschen ist keine Zeitverschwendung, sondern Psychohygiene pur. Eine ständige Überbelastung darf man nicht zulassen.

Ärzte Zeitung: Was können Ärzte für ausgebrannte Patienten tun?

Faust: Zuerst wird entlastet, also die tägliche Arbeitszeit begrenzt. Das wird am ehesten akzeptiert. Die anschließende Regeneration mit systematisch verlängerten Erholungspausen ist schon schwieriger, denn Burnout-Charaktere sind ungeduldig. Dann folgt ein zeitliches Konzept, das helfen soll, die Balance zwischen Arbeit, Erholung und mitmenschlichen Kontakten zu halten. Das wird zwar gerne akzeptiert, aber nur begrenzt praktiziert. Bei den meisten Patienten, die den Weg zum Therapeuten gefunden haben, habe ich aber den Eindruck, dass sie ihre Lektion gelernt haben: Sie sind dann nicht ausgebrannt, sondern nur "angesengt".

Zur Person

Professor Volker Faust ist Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Er war in Freiburg, Düsseldorf, Hamburg, Mainz, Basel und Berlin klinisch tätig, zuletzt als Medizinaldirektor am Zentrum für Psychiatrie "Die Weissenau" in Ravensburg. Seit Sommer 2006 befindet sich der Neurologe und Psychiater im Ruhestand, betreibt aber noch eine Privatpraxis in Ravensburg. (mut)

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