Grippeforscher erhalten heute Robert-Koch-Preis

BERLIN (gvg). Wer heutzutage unter den Forschern ein Grippe-Virus braucht, kann es sich mit den Mitteln der reversen Genetik einfach zusammenbauen. Für die Entwicklung dieses "Baukastenprinzips" in der Influenza-Virologie werden heute zwei Forscher aus den USA und Japan mit dem Robert-Koch-Preis 2006 ausgezeichnet.

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Die beiden Preisträger sind - wie bereits gemeldet - Professor Peter Palese von der Mount Sinai Medical School in New York und Professor Yoshihiro Kawaoka von der Universität Tokyo. "Beide haben wesentlich zu der Entwicklung des Verfahrens der reversen Genetik in der Grippe-Virologie beigetragen", sagte Privatdozent Gerd Sutter, Leiter der Abteilung Virologie am Paul-Ehrlich-Institut zur "Ärzte Zeitung". Die Technik der reversen Genetik wird seit Jahren weltweit in der Grippeforschung genutzt. Wichtiger noch: Die reverse Genetik gilt als das Zukunftsverfahren für die Entwicklung von Grippe-Impfstoffen schlechthin.

Virus aus acht Genabschnitten zusammengebaut

Die reverse Genetik wird in der Grippeforschung dazu genutzt, Influenzaviren aus acht Genabschnitten gezielt zusammenzubauen. Wie funktioniert das Verfahren? Vereinfacht gesagt schleusen dabei Forscher die acht Genabschnitte in Säugetierzellen. Die Zellen verwandeln sich dadurch in eine Virusfabrik und produzieren die gewünschten Grippeviren in beliebiger Menge. Der Clou daran ist, daß durch gentechnische Veränderungen in den acht Genabschnitten praktisch jede beliebige Virusvariante gezielt erschaffen werden kann.

Das sicher eindrucksvollste Beispiel für die Erfolge der reversen Genetik in der Grippeforschung war die kürzlich fertiggestellte Rekonstruktion jenes Influenzavirus, das die Spanische Grippe von 1918 verursacht hatte (die "Ärzte Zeitung" berichtete). "Mit der reversen Genetik konnten wir dieses ausgestorbene Virus im Labor rekonstruieren und nachweisen, daß das Virus von 1918 in der Tat virulenter war als andere Influenza-Viren", sagt Palese, der an diesem Meilenstein der Grippeforschung beteiligt war.

Für die Produktion von Grippe-Impfstoffen bedeutet die reverse Genetik vor allem ein Plus an Schnelligkeit. "Heute auf dem Markt befindliche Grippe-Impfstoffe werden noch nach dem klassischen Reassortionsverfahren hergestellt, und das ist mühsam", unterstreicht Sutter. Bei diesem Verfahren wird ein alter Influenza-A-Stamm, der 1934 in Puerto Rico isoliert wurde, mit den Hämagglutinin- und Neuraminidase-Genen der gerade in der Bevölkerung zirkulierenden Grippevirus-Stämme versetzt.

Am Ende des Verfahrens stehen diverse neue Viren, darunter einige mit allen Oberflächenmolekülen der in der aktuellen Saison wichtigsten Grippeviren. Diese Viren werden aussortiert und dann für die Massenproduktion von Impfstoff in Hühnereiern vermehrt.

Durch die reverse Genetik steht nun ein Verfahren zur Verfügung, das diesen Prozeß abkürzt, weil das gewünschte Virus aus acht Genabschnitten in einem einzigen Schritt erzeugt werden kann. "Im Zusammenhang mit der Vogelgrippe hat die reverse Genetik außerdem große Sicherheitsvorteile", betonte Sutter.

Denn statt mit potentiell infektiösen H5N1-Vogelgrippeviren hantieren die Impfstoffhersteller nur mit ungefährlichen Genabschnitten für die Oberflächenantigene Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie werden mit den Genbruchstücken von bekannten nicht pathogenen, humanen Grippeviren in Zellkultur zusammengebracht. Was am Ende herauskommt, ist ein ungefährliches Impfvirus, das die immunologischen Eigenschaften von H5N1 besitzt. "Mittlerweile sind die ersten auf diese Weise hergestellten H5N1-Testimpfstoffe verfügbar", so Sutter.

Die Hühnerembryonen werden nicht getötet

Beim Spezialfall des Vogelgrippe-Impfstoffs kann ganz nebenbei per reverser Genetik auch noch sichergestellt werden, daß die Impfviren die Hühnerembryonen, in denen sie nach wie vor vervielfältigt werden müssen, nicht umbringen.

Mittel- bis langfristig könnte die reverse Genetik dazu führen, daß bei der Produktion von Grippe-Vakzinen ganz auf Hühner verzichtet werden kann. Dazu muß das Verfahren noch den Anforderungen der Massenproduktion angepaßt werden. Trotz Robert-Koch-Preis: Das Entwicklungspotential der reversen Genetik ist noch längst nicht ausgereizt.

Lesen Sie dazu auch: Koch-Medaille für Ebola-Virus-Forschung

STICHWORT

Robert-Koch-Preis

Der von der Robert-Koch-Stiftung jedes Jahr verliehene Robert-Koch-Preis gilt als eine der höchstrangigen wissenschaftlichen Auszeichnungen weltweit. Die mit 100 000 Euro dotierte Auszeichnung wird für herausragende, biomedizinische Forschungsleistungen verliehen. Gefördert werden soll speziell die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten und anderer, weit verbreiteter Erkrankungen, zum Beispiel Krebs. Seit1977 haben fünf Wissenschaftler, die zuvor den Robert-Koch-Preis erhalten hatten, später auch den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin bekommen. Gleichzeitig mit dem Robert-Koch-Preis wird die Robert-Koch-Medaille in Gold vergeben, mit der das Lebenswerk eines herausragenden Wissenschaftlers gewürdigt wird. (gvg) 

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