Studie mit Parasiten

Hakenwürmer eher ungeeignet zur MS-Therapie

Der Ansatz ist interessant: Parasiten sollen die Schieflage beim Immunsystem von Patienten mit Multipler Sklerose korrigieren. In einer Studie hatten Hakenwürmer jedoch keinen großen Einfluss auf die Zahl neuer MRT-Läsionen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Für MS-Erkrankte scheint die Hakenwurmtherapie zwar gut verträglich zu sein, jedoch eher geringen Nutzen zu haben.

Für MS-Erkrankte scheint die Hakenwurmtherapie zwar gut verträglich zu sein, jedoch eher geringen Nutzen zu haben.

© cirquedesprit / stock.adobe.com

Nottingham. Glaubt man der Hygiene-Hypothese, trägt eine zu sterile Lebensweise maßgeblich zur hohen Inzidenz von Allergien und Autoimmunerkrankungen in Industrieländern bei. Relevant sind dabei nicht nur die üblichen Keime, sondern möglicherweise auch Darmparasiten.

Sie scheinen Studien zufolge einen günstigen Einfluss auf regulatorische T-Zellen auszuüben, sodass von manchen Experten die Bezeichnung „Parasit“ für wenig pathogene makroskopische Darmbewohner hinterfragt wird.

So könnten manche Darmwürmer eher in einer symbiotischen Beziehung zu ihrem Wirt stehen und als Dank für Kost und Logis das Immunsystem erden.

Erste placebokontrollierte Wurmstudie

Ein Team um Dr. Radu Tanasescu von der Universität in Nottingham hat jetzt Resultate der nach eigenen Angaben ersten placebokontrollierten Studie zur Wurmtherapie gegen MS veröffentlicht (JAMA Neurol. 2020; online 15. Juni).

Demnach ist der Nutzen der Behandlung eher gering: Die absolute Zahl neuer oder sich vergrößernder MRT-Läsionen war in den Gruppen mit und ohne Wurmtherapie ähnlich hoch, jedoch deutete sich ein Vorteil bei den Schüben und dem Anteil von Patienten ohne MRT-Aktivität an. So könnten also zumindest einige Patienten von der Behandlung profitieren.

An der Phase-II-Studie „Worms for Immune Regulation in MS“ (WIRMS) nahmen 71 wurmfreie Patienten teil, die eine aktive MS aufwiesen (mindestens ein Schub in den vergangenen zwölf oder zwei Schübe in 24 Monaten) und noch keine krankheitsmodifizierenden MS-Therapeutika erhalten hatten.

Larven auf Haut pipettiert

Die Hälfte der Teilnehmer bekam jeweils 25 Larven des Hakenwurms Necator americanus auf die Haut pipettiert, die übrigen nur Wasser. Pilotstudien hatten gezeigt, dass diese Zahl von Larven für eine immunmodulatorisch wirkende Infektion genügt.

Die normalerweise im Boden lebenden Nematodenlarven fressen sich durch die Haut, wandern über Lymph- und Blutgefäße zur Lunge, graben sich durch die Alveolen und ziehen über die Atemwege in den Rachen, wo sie verschluckt werden und letztlich im Dünndarm ihr Quartier beziehen. Das klingt etwas umständlich und wenig appetitlich, verläuft für die Betroffenen in der Regel aber ohne spürbare Folgen.

Die Patienten wurden im Anschluss an die Behandlung knapp ein Jahr nachbeobachtet, primärer Studienendpunkt war die Zahl neuer oder sich vergrößernder T2-Läsionen plus die Zahl neuer Gd-anreichernder Läsionen, und zwar in den Monaten drei bis neun nach der Therapie.

Zu Beginn hatten die Patienten im Schnitt rund 16 T2-Läsionen, eine Gd-anreichernde Läsion und zwei Schübe in den beiden Vorjahren.

Weniger Patienten mit MRT-Aktivität

Wie sich herausstellte, entwickelten Patienten mit Hakenwürmern in der Summe 154 neue oder sich vergrößernde Läsionen, 164 waren es in der Placebogruppe, die Differenz war jedoch nicht signifikant.

Allerdings unterschied sich die Läsionsverteilung deutlich: Der Medianwert pro Patient betrug Null in der Wurm- und 1,5 in der Placebogruppe. Einige wenige Patienten in der Wurmgruppe zeigten also eine sehr starke MRT-Aktivität, viele hingegen gar keine.

Der Anteil von Patienten ohne MRT-Aktivität war in der Wurmgruppe sogar doppelt so hoch wie unter Placebo (16 versus acht Patienten) und die Zahl der Schübe nur halb so hoch (fünf versus elf). Insgesamt ergab sich im zeitlichen Verlauf ein Trend zu einer geringeren MRT-Aktivität bei den Wurmpatienten.

Der EDSS-Wert verbesserte sich in der Wurmgruppe ausgehend von drei Punkten um 0,17 Punkte, in der Kontrollgruppe verschlechterte er sich um 0,13 Punkte, allerdings war die Zahl der Teilnehmer hier zu gering für statistisch belastbare Aussagen.

Statistisch signifikant stiegen immerhin die Werte für regulatorische T-Zellen unter der Wurmtherapie, in der Placebogruppe gingen sie leicht zurück.

Schlechte Infektionsquote

Rund 80 Prozent der Patienten in der Wurmgruppe bemerkten Hautreizungen, etwa 20 Prozent waren es unter Placebo. Gastrointestinale und sonstige Beschwerden traten in beiden Gruppen ähnlich häufig auf. Immerhin scheint die Behandlung also recht sicher zu sein.

Ein Manko der Studie ist allerdings, dass sich nur bei zwei Drittel in der Wurmgruppe eine Infektion über den Stuhl nachweisen ließ, eine schlechte Infektionsquote könnte die Resultate verwässert haben. Ein weiterer Schwachpunkt ist der Vergleich mit Placebo. Heute, da eine große Zahl wirksamer MS-Mittel existiert, würde eine solche Studie kaum noch genehmigt.

Ob die Wurmtherapie mit ihrem eher moderaten Nutzen sich gegen eine aktive Vergleichssubstanz behaupten oder als Add-on-Therapie eine bestehende Behandlung verbessern könne, sei stark zu bezweifeln, geben Neurologen um Dr. Daniel Ontaneda von der Cleveland Clinic in den USA in einem Editorial zu bedenken. „Die Würmer sollten daher besser in der Erde bleiben.“

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