INTERVIEW

Heroinbehandlung - "wir haben erheblichen Zeitdruck"

FRANKFURT/MAIN. Gegen die Einstellung des bundesweiten Heroin-Modellprojekts Ende Juni dieses Jahres hatte die Frankfurter Gesundheitsdezernentin Manuela Rottmann (Die Grünen) mit einer Klage reagiert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn hat nun auch schriftlich erklärt, dass das Projekt in Frankfurt am Main weitere drei Jahre fortgeführt werden könne. Manuela Rottmann sprach mit "Ärzte Zeitungs"-Mitarbeiter Pete Smith über die Konsequenzen.

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Ärzte Zeitung: Frau Rottmann, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat der Stadt Frankfurt mündlich zugesichert, das Heroin-Modellprojekt um weitere drei Jahre zu verlängern. Ein Erfolg Ihrer Klage oder Einsicht in die Notwendigkeiten?

Manuela Rottmann: Nach dem Ende der Arzneimittelstudie hat das Bundesinstitut immer klar geäußert, dass Diamorphin (synthetisches Heroin) als Medikament zuzulassen ist, sollte es eine gesetzliche Regelung geben. Deshalb glaube ich, dass zumindest aufseiten des BfArM die fachliche Einsicht vorhanden ist. Anderseits muss man jedoch auch klar sagen, dass eine Beendigung der Heroinvergabe zum 30. Juni gedroht hätte, wenn die Stadt Frankfurt sich nicht so vehement für eine Fortführung eingesetzt hätte.

Ärzte Zeitung: In Frankfurt am Main sind derzeit etwa 59 Schwerstabhängige am Diamorphinprojekt beteiligt, bis zu 150 dürfen es nach Angaben des Bundesinstituts künftig sein. Damit wurde Ihrem Antrag beim BfArM voll stattgegeben. Trotzdem handelt es sich wieder nur um eine Ausnahmeregelung für drei Jahre. Spielen Sie auf Zeit?

Rottmann: Wir versprechen uns von der Verlängerung der Heroinvergabe genügend Zeit, dass ein Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt werden kann. Hätten wir die Heroinvergabe gezwungenermaßen beenden müssen, wäre dies, angesichts der erheblichen Anstrengungen zur Einrichtung einer solchen Behandlung, auf Jahre hinaus das Ende dieser Therapieform gewesen. Ziel bleibt aber die gesetzliche Regelung.

Ärzte Zeitung: Frankfurt ist Vorreiter bei der Diamorphin-Abgabe an Schwerstabhängige, hier wurden die besten Ergebnisse erzielt. An dem Modellprojekt sind jedoch sechs weitere Städte in Deutschland beteiligt. Was bedeutet die aktuelle, Frankfurt allein begünstigende Entscheidung des BfArM für Hamburg, Hannover, Köln, Bonn, Karlsruhe und München?

Rottmann: Das BfArM hat mit der Erlaubnis erstmals anerkannt, dass eine Behandlung mit Diamorphin im öffentlichen Interesse ist. Daran muss es sich halten, wenn andere Städte einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung stellen. Dies betrifft, meiner Meinung nach, nicht nur die Städte, die sich jetzt schon im Heroinprogramm befinden, sondern alle Städte, die einen entsprechenden Bedarf haben. In Anbetracht der erheblichen finanziellen Belastungen, die ein solches Projekt mit sich bringt, halte ich jedoch eine gesetzliche Regelung für unabdingbar, um die Lasten nicht nur bei den Kommunen abzuladen.

Ärzte Zeitung: Am 30. Juni läuft das Diamorphin-Modellprojekt offiziell aus. Seine Verlängerung auf Bundesebene bleibt umstritten. Offen ist beispielsweise, ob die Fortführung des Projekts gesetzlich geregelt wird. Welche Regelung halten Sie für wünschenswert und welche für wahrscheinlich?

Rottmann: Schon im November letzten Jahres hat eine Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft einen Gesetzentwurf zur Änderung des Betäubungsmittel- und Arzneimittelrechts vorgelegt. Auf dieser Grundlage ist eine gesetzliche Regelung dringend erforderlich. Der Regierende Bürgermeister von Hamburg Ole von Beust hat mit der Unterstützung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch eine Bundesratsinitiative angekündigt. Ich hoffe, dass sich weitere Bundesländer anschließen. Gleichzeitig gibt es im Bundestag einen Gruppenantrag der Oppositionsparteien von Bündnis 90 / Die Grünen, FDP und der Linken. Auf Grund der immer noch gespaltenen Haltung der Großen Koalition könnte derzeit wohl nur die Aufhebung des Koalitionszwanges zu einem Erfolg im Bundestag führen. Ich hoffe jedoch, dass unsere durch das BfArM bestätigten rechtlichen Argumente für die Heroinvergabe auch im Bundestag noch zu einem Umdenken führen.

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